5 (1) Nr. 13 SGB V vs Hilfe zur Gesundheit vom Sozialamt

Fragen zu einzelnen Krankenkassen

Moderator: Czauderna

Joebo
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5 (1) Nr. 13 SGB V vs Hilfe zur Gesundheit vom Sozialamt

Beitrag von Joebo » 15.10.2016, 22:26

Hallo zusammen,

hier und da tauchen ja immernoch Personen auf, die noch ohne Versicherungsschutz sind. Hier stell ich mir manchmal die Frage, ob das Sozialamt an die KK verweisen darf/muss.

Bsp: Obdachloser seit 2000 nicht mehr versichert. Zuletzt GKV versichert. Grds. seit dem 01.04.2007 versicherungspflichtig, hat sich jedoch nicht gemeldet. Jetzt 2016 meldet die Person sich beim Sozialamt.

Frage 1: Darf/muss das Sozialamt an die letzte Kasse verweisen, damit die 5(1)13 er beantragt wird oder kann sie auch Hilfe zur Gesundheit leisten?
Die KK müsste die Versicherung ab dem 01.04.07 durchführen, was hohe Beitragsschulden für den Versicherten zur Folge hätte. Die Beitragsschulden werden in der Regel nicht übernommen.

2: Was ist, wenn die Person sich weigert den Antrag zu stellen (weil sie keine Beitragsschulden haben möchte). Es ist zwar nichts von ihr zu holen, aber zu wissen, dass hohe Beitragsschulden bestehen, ist für diese Person ggf. rein psychisch eine hohe Belastung. Kann die Person einfach auf den Anspruch über das Sozialamt verweisen?

Bin gespannt auf eure Einschätzung.

Gruß Joebo

Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 15.10.2016, 23:02

Hallo,
Da gibt es nur einen, der da die einzige und vor allem richtige Antwort geben kann - Rossi
Gruß
Czauderna

Joebo
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Beitrag von Joebo » 16.10.2016, 21:17

Dann warte ich mal auf den Rossi :idea:

Rossi
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Beitrag von Rossi » 16.10.2016, 22:38

Hm, habt ihr selber keine Ideen?!

Ich würde an Joebo Stelle ganz wo anders anfangen!!!!

D.h., ich würde mir das SGB XII (Gesetz über die Sozialhilfe und Krankenhilfe ) nehmen und dort nachlesen und mir dann eine Meinung bilden!!!

Allerdiengs ist dieser Gedankengang von Joebo gesetzlich genau geregelt und mittlerweile auch noch durch die BSG-Rechtsprechung auch noch unermauert!

Joebo
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Beitrag von Joebo » 17.10.2016, 08:20

Naja im 47/48 SGB XII steht kaum etwas. Die einzige Vorrangigkeit die hier steht ist der 264 SGB V.

Im 264er steht nur "wer nicht gesetzlich versichert ist"... ist diese Person ja nicht, wenn auch pflichtig...

Naja grundsätzlich würde ich den 5(1)13 er vorrangig sehen, jedoch ist diese Versicherung zu beantragen. Ohne Antrag würde keine Versicherung durchgeführt werden. Logischerweise möchte sich der Versicherte nicht hoch Verschulden (kann ja auch nicht im Sinne des Sozialamtes sein). Faktisch würde er ohne Versicherungsschutz darstehen.

Danke im Voraus!

Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 17.10.2016, 10:42

Rossi hat geschrieben:Hm, habt ihr selber keine Ideen?!

Ich würde an Joebo Stelle ganz wo anders anfangen!!!!

D.h., ich würde mir das SGB XII (Gesetz über die Sozialhilfe und Krankenhilfe ) nehmen und dort nachlesen und mir dann eine Meinung bilden!!!

Allerdiengs ist dieser Gedankengang von Joebo gesetzlich genau geregelt und mittlerweile auch noch durch die BSG-Rechtsprechung auch noch unermauert!
Hallo,
Super Antwort
Gruß
Czauderna

Rossi
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Beitrag von Rossi » 17.10.2016, 10:56

Nun ja;

Zitat:
Naja grundsätzlich würde ich den 5(1)13 er vorrangig sehen

So ist es in der Tat auch.

Zitat:
jedoch ist diese Versicherung zu beantragen. Ohne Antrag würde keine Versicherung durchgeführt werden

Nein, jenes sieht das BSG allerdings anders.

1. Vorrangigkeit der Mitgliedschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V


Das Strukturprinzip der Sozialhilfe ist die Nachrangigkeit. D.h., Sozialhilfe erhält nicht (die Krankenhilfe zählt dazu), wer sich selber helfen kann (vgl. § 2 SGB XII). Vorrangige Sozialleistungsansprüche (Krankenversicherung) sind sogar ausdrücklich in § 2 SGB XII genannt.

D.h., der Kunde muss vorrangig die Ansprüche gegenüber der Krankenkasse durchsetzen. Der Sozialhilfeträger kann die Mitgliedschaft nicht selber feststellen (vgl. BSG 19.12.1991 Az.: 12 RK 24/90), er kann aber den Betroffenen hinsichtlich der Krankenversicherung beraten und unterstützen (vgl. BSG 19.12.1991 Az.: 12 RK 24/90 Rz. 35).

Darüber hinaus hat das BSG in seinen Entscheidungen vom 24.03.2016 (Az. B 12 KR 6/14 R u. B 12 KR 5/14 ) noch einmal ausdrücklich festgehalten, dass der Sozialhilfeträger den Betroffenen im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht (vgl. §§ 60 ff. SGB I) und im Rahmen der Nachrangigkeit (vgl. § 2 SGB XII) dazu anhalten kann, vorrangig die Ansprüche bei der Krankenversicherung durchzusetzen (vgl. BSG 24.03.2016 Az. B 12 KR 6/14 Rz. 29).

2. Ohne Antrag keine Versicherung


Das sieht das BSG und die einschlägige Literatur meines Erachtens jedoch anders.

Denn die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V besteht unabhängig von einem Beitritt oder einer Anzeige nämlich kraft Gesetzes (so ausdrücklich BSG, 12.01.2011, B 12 KR 11/09 R = BSGE 107, 177 = SozR 4-2500 § 5 Nr 13 RdNr 10; LSG Nordrhein-Westfalen 24.02.2010, L 16 B 49/09 NZB = juris; Felix in jurisPK - SGB V, § 186 Rdnr 45, Stand 01.04.2010; Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, § 186 Rdnr 32, Stand Juni 2007; Marburger, Die gesetzliche Krankenversicherung, 3. Auflage 2011, S 58).

@Joebo: Sind Dir andere BSG-Entscheidungen bzw. andere Kommentierungen bekannt?!

3. Verschuldung durch nachzuzahlende Beiträge

Da die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V keine Wunschversicherung ist, sondern eine Pflichtversicherung, sind die Beiträge ggf. nachzuzahlen bzw. zu ermäßigen (vgl. § 256a SGB V).

Auf der anderen Seite passiert dem Sozialhilfeempfänger überhaupt nichts, wenn er Beitragsschulden hat. Denn die Kasse kann aufgrund vermeintlicher Beitragsschulden auch nicht die Mitgliedschaft in die Ruhensphase gem. § 16 Abs. 3a SGB V bringen, da der Kunde hilfebedürftig ist. D.h., es können 10.000,00 € Beitragsschulden vorhanden sein, der Kunde bekommt die volle Palette von der Kasse.

Auf der anderen Seite gibt es zusätzlich zum § 256a SGB V die Bestimmungen des § 76 SGB IV. Hiernach können Beitragsansprüche gestundet, niedergeschlagen oder sogar erlassen werden. Diese Vorschrift führt aber teilweise ein Schattendasein, leider.

Nur von der Ausgangslage; wenn jemand Sozialhilfe (SGB XII) bekommt, dann ist er entweder alt oder krank. Großartig ändert sich an diesen Fällen in der Regel nichts, außer der Kunde spielt Lotto. In der Praxis sehen die Kassen von den nachzuzahlenden Beiträgen in der Regel 0 Cent. Aber jedes Jahr kommt teilweise der Vollstrecker, na ja!?

Für meine Kunden bereite ich in der Regel einen gesonderten Antrag gem. § 76 SGB IV vor. Meistens werden die Rückstände unbefristet niedergeschlagen. Nun ja, dies ist doch schon mal etwas.

Andere Ideen oder Vorschläge?!

Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 17.10.2016, 12:30

Hallo Rossi,
das war genau das, was ich schon schrieb - das kannst, hier bei dieser Frage nur du - danke.
Gruss
Guenter

GerneKrankenVersichert
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Beitrag von GerneKrankenVersichert » 17.10.2016, 13:26

Naja, ganz so klar wie Rossi das hier beschreibt ist die Sachlage für mich nicht. Beim zitierten Urteil hat - im Rossi-Jargon beschrieben - der Sozialhilfeträger eine ziemliche Klatsche erhalten und sein Ansinnen wurde komplett abgeschmettert. Und das, obwohl in diesem Fall tatsächlich die Mitgliedschaft nach 5,1,13 beantragt wurde. Dies ist im von Joebo beschriebenen Fall ja gerade nicht so.

Ohne Angaben und Mitwirkung des Versicherten kann die Kasse keine Versicherungspflicht feststellen. Das BSG und der Sozialhilfeträger genauso wenig. Jetzt stellt sich die Frage, ob der fiktive Obdachlose im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten dazu verdonnert werden kann. Das BSG schreibt im von Rossi angegebenen Punkt 29
BSG hat geschrieben: [29] 3. Eine Rechtschutzlücke zu Lasten von Sozialhilfeträgern entsteht durch die vorstehenden Erwägungen des Senats – auch zur Frage der Rechtsmittelbefugnis – nicht. Denn wie in anderen sozialhilferechtlichen Konstellationen mit Bezug zu einem (möglicherweise vorrangig zuständigen) anderen Sozialversicherungsträger auch kann der Sozialhilfeempfänger hier entsprechende Fragen aus eigenem Recht in einem Gerichtsverfahren zur Überprüfung stellen (stRspr, vgl zB zuletzt BSGE 110, 62 = SozR 4—2500 § 240 Nr 16; BSGE 113, 1 = SozR 4—2500 Nr 17 [Bemessung von Beiträgen zur freiwilligen Krankenversicherung, die vom Sozialhilfeträger übernommen werden]). In derartigen Fallkonstellationen kommt in Betracht, dass der Hilfeempfänger im Hinblick auf seine Mitwirkungsobliegenheiten nach §§ 60 ff SGB I und seine sozialhilferechtlichen Obliegenheiten nach § 2 Abs 1 SGB XII vom Sozialhilfeträger zu einem entsprechenden, die Leistungspflichten dieses Trägers (möglicherweise) ausschließenden Vorgehen angehalten werden kann.
Wichtig ist das Wörtchen "kann". Damit kommen wir zum Ermessen und den Grenzen der Mitwirkung. Und der Frage, ob zu erwartende Beitragsschulden in nicht unerheblicher Höhe ein wichtiger Grund sind, aus dem die Mitwirkungspflicht nicht besteht. Denn nehmen wir mal wieder den fiktiven Obdachlosen, dem wir jetzt noch ein Alkoholproblem hinzudichten. Dank einer vorbildlichen Eingliederung durch den Sozialhilfeträger und einer erfolgreichen Entwöhnungsbehandlung schafft er es, wieder Fuß zu fassen und eine Arbeitsstelle zu erhalten. Sein Einkommen reicht gerade so, dass er nicht mehr hilfebedürftig ist. Die Schulden bei der Kasse kann er nicht zahlen. Dann hat er ein Leistungsruhen und damit Leistungseinschränkungen an der Backe, das er nicht hätte, wenn er nicht zur Mitwirkung verdonnert worden wäre.

Rossi
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Beitrag von Rossi » 17.10.2016, 14:29

Super, GKV, Du kannst Ermessen erkennen und ausüben.

Ich kommen dann mit dem § 76 SGB IV um die Ecke, der auch im Ermessen der Kasse liegt. Also ist zuerst die Kasse mit dem Ermessen dran und nicht der Sozialhilfeträger. Deine Fallschilderung passt hier sogar wunderbar. Leider führt diese Bestimmung ein absolutes Schattendasein.

Solche Fälle habe ich natürlich schon gehabt, wo der Geschäftsstellenleiter dem Kunden klipp und klar gesagt hat, überlegen sich dies bitte noch einmal; sie verschulden sich.

Dann kommen noch die erheblichen Vorteile einer originären Mitgliedschaft in der GKV.

Zitat:

- Die Mitgliedschaft enthält auch Leistungen der Pflegeversicherung, die bei der Versorgung gem. § 264 nicht gegeben sind. Insbes. können keine Leistungen gem. § 45 SGB XI in Anspruch genommen werden.

- Leistungen nach dem 5. Kapitel rufen eine UH-Verpflichtung der Kinder hervor. Im 5. Kapitel setzt diese nicht wie bei Grusi erst ab 100.000 Euro ein, sondern sofort. Die Mitgliedschaft hingegen ist völlig unabhängig von UH-Verpflichtungen.

- Eine reguläre Mitgliedschaft ist eine stabile Versicherung, auch bei Leistungsunterbrechungen (bei der der HE sonst erst mühsam die Pflichtversicherung § 5 (1) Nr. 13 beantragen müsste).

- Bei regulärer Versicherung können auch Leistungen im EU-/EWR-Ausland in Anspruch genommen werden. Diese sind bei § 264 nicht gegeben.

- Bei regulärer Versicherung können Satzungs(mehr)leistungen der Kasse in Anspruch genommen werden (§ 11 (6)). Satzungsleistungen gelten für Mitglieder und Familienversicherte oder allgemein für die „Versicherten“ (§ 11). Versorgte gem. § 264 sind aber keine Mitglieder und keine Versicherten; für sie gilt gem. § 264 (4) nur § 11 (1). Ausnahmen könnten nur konkrete Regelungen in den Vereinbarungen der Länder zur Umsetzung der Versorgung gem. § 264 vorsehen.

- Versorgte gem. § 264 können bei Unzufriedenheit die KK nicht wechseln. Gem. § 264 sind bestimmte §§ des SGB V auch für die Versorgten anzuwenden; § 175 (4) ist dort nicht aufgeführt (BSG B 1 KR 26/15 R vom 8.3.16).



Hinsichtlich der Angaben und Mitwirkung musst Du auch nicht darauf rumreiten, dass es ohne den Versicherten nicht geht. Es geht auch ohne den Versicherten; hierzu gibt es zahlreiche Urteile. Es muss dann ggf. von Amts wegen ermittelt werden und kein Versteckspiel hinter einem vermeintlichen Antrag.

Im übrigen würden kein Sozialhilfeträger in Deutschland seit dem 01.04.2007 einen Kunden, der nicht hilfebedürftig ist (also so eben über den Satz) nach § 264 Abs. 2 SGB V anmelden. Dies ergibt sich schon aus Satz 2 des § 264 Abs. 2 SGB V. Die Betreuung hängt von einem Leistungsbezug ab, der dann aber nicht vorliegt.


Und dann zu den beiden BSG-Entscheidungen. Als sog. Klatsche sehe ich die BSG-Entscheidungen allerdings nicht. Sicherlich hat die betroffene Stadt aus Bayern ggf. einen Fehler gemacht. Denn vor dem LSG standen die Kasse und der Sozialhilfeträger als Beigeladener. Das LSG hat dann den Sozialhilfeträger als Beigeladener verdonnerst. Und genau dagegen hat er sich gewährt, mehr nicht.

Als Fazit aus dieser Geschichte hat man gelernt, dass man immer den Kunden vor den Karren spannen muss.

Joebo
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Beitrag von Joebo » 17.10.2016, 15:02


2. Ohne Antrag keine Versicherung


Das sieht das BSG und die einschlägige Literatur meines Erachtens jedoch anders.

Denn die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V besteht unabhängig von einem Beitritt oder einer Anzeige nämlich kraft Gesetzes (so ausdrücklich BSG, 12.01.2011, B 12 KR 11/09 R = BSGE 107, 177 = SozR 4-2500 § 5 Nr 13 RdNr 10; LSG Nordrhein-Westfalen 24.02.2010, L 16 B 49/09 NZB = juris; Felix in jurisPK - SGB V, § 186 Rdnr 45, Stand 01.04.2010; Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, § 186 Rdnr 32, Stand Juni 2007; Marburger, Die gesetzliche Krankenversicherung, 3. Auflage 2011, S 58).

@Joebo: Sind Dir andere BSG-Entscheidungen bzw. andere Kommentierungen bekannt?
Nunja, um die Versicherungpflicht festzustellen bedarf es einem Antrag bzw. einer Anzeige. Woher soll ich sonst wissen ob, wann und wo er zuletzt versichert war bzw. ob Ausschlusstatbestände dagegen sprechen.

Ist es gängige Praxis, dass Leistungen solange verwehrt werden, bis der Antrag/Anzeige bei der KK gestellt wurde?
Der laufende Bezug (nach bestimmten Kapiteln) stellt ja eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall dar.

Danke für deine Mühe! [/quote]

Rossi
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Beitrag von Rossi » 17.10.2016, 15:09

Nun ja, sobald bspw. durch ein Dritten der Kasse mitgeteilt wird, dass hier ein unversichertes Schäfchen durch die Gegend rennt, beginnt der Grundsatz der Amtsermittlung. So sieht es zumindest auch das BMG vor.

Mir ist diese Praxis natürlich bekannt (ohne Anzeige bzw. Antrag) keine Versicherung. Von daher gehen die meisten Sozialämter auch hin und nehmen den Anzeigebogen für die Versicherungspflicht gemeinsam mit dem Kunden auf, um Ruhe in die Geschichte zu bekommen.

Aber nehmen wir mal an, dass ein Anzeigebogen nicht vorliegt; der Kunde liegt im Koma und verstirbt dann. Würdest Du ablehnen, weil kein Anzeigebogen vorliegt? Genau so ein Fall wurde nämlich schon mal von einem LSG behandelt. Hier wurde die Kasse allerdings verpflichtet die Mitgliedschaft einzutragen. Der Sachverhalt wurde von Amts wegen ermittelt und des lagen keine anderen Indizien vor, dass er bspw. privat versichert gewesen ist oder bei einer andern GKV.

Joebo
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Beitrag von Joebo » 17.10.2016, 15:15

Rossi hat geschrieben:Nun ja, sobald bspw. durch ein Dritten der Kasse mitgeteilt wird, dass hier ein unversichertes Schäfchen durch die Gegend rennt, beginnt der Grundsatz der Amtsermittlung. So sieht es zumindest auch das BMG vor.

Mir ist diese Praxis natürlich bekannt (ohne Anzeige bzw. Antrag) keine Versicherung. Von daher gehen die meisten Sozialämter auch hin und nehmen den Anzeigebogen für die Versicherungspflicht gemeinsam mit dem Kunden auf, um Ruhe in die Geschichte zu bekommen.

Aber nehmen wir mal an, dass ein Anzeigebogen nicht vorliegt; der Kunde liegt im Koma und verstirbt dann. Würdest Du ablehnen, weil kein Anzeigebogen vorliegt? Genau so ein Fall wurde nämlich schon mal von einem LSG behandelt. Hier wurde die Kasse allerdings verpflichtet die Mitgliedschaft einzutragen. Der Sachverhalt wurde von Amts wegen ermittelt und des lagen keine anderen Indizien vor, dass er bspw. privat versichert gewesen ist oder bei einer andern GKV.
Extremes Beispiel^^
Auch die Amtsermittlung hat ihre Grenzen. Sofern der Kunde die Angaben grds. machen kann, dies aber nicht tut, endet für mich die Ermittlung.

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Beitrag von GerneKrankenVersichert » 17.10.2016, 15:47

Rossi hat geschrieben:
Ich kommen dann mit dem § 76 SGB IV um die Ecke, der auch im Ermessen der Kasse liegt. Also ist zuerst die Kasse mit dem Ermessen dran und nicht der Sozialhilfeträger. Deine Fallschilderung passt hier sogar wunderbar. Leider führt diese Bestimmung ein absolutes Schattendasein.
Nunja Rossi, das geht mal wieder haarsscharf am von Joebo aufgeworfenen Problem vorbei. Ohne festgestellte Versicherungspflicht keine Mitgliedschaft, keine Beitragserhebung und keine Niederschlagung. Zunächst muss der SHT Ermessen ausüben, ob die Mitwirkung verlangt werden kann. Und wenn es dann zur Mitgliedschaft kommt, prüft die Kasse, ob die Beiträge niedergeschlagen werden können. Aber zunächst einmal handelt der fiktive Obdachlose sich mit seiner Anzeige der Versicherungspflicht hohe Beitragsschulden ein. Da kann der SHT nicht sagen, mir doch egal, es könnte ja sein, dass die Kasse die erlässt, also musst du die Versicherungspflicht anzeigen.
Rossi hat geschrieben: Dann kommen noch die erheblichen Vorteile einer originären Mitgliedschaft in der GKV.

Zitat:

- Die Mitgliedschaft enthält auch Leistungen der Pflegeversicherung, die bei der Versorgung gem. § 264 nicht gegeben sind. Insbes. können keine Leistungen gem. § 45 SGB XI in Anspruch genommen werden.
Als wären die Pflegekurse jetzt DAS entscheidende Kriterium.
Rossi hat geschrieben: - Eine reguläre Mitgliedschaft ist eine stabile Versicherung, auch bei Leistungsunterbrechungen (bei der der HE sonst erst mühsam die Pflichtversicherung § 5 (1) Nr. 13 beantragen müsste).
Naja, dafür muss jetzt der mühsame Antrag gestellt werden.
Rossi hat geschrieben: - Bei regulärer Versicherung können auch Leistungen im EU-/EWR-Ausland in Anspruch genommen werden. Diese sind bei § 264 nicht gegeben.
Wie so oft vernebelst du hier so einiges. Ja, diese Leistungen können nicht über Versichertenkarte in Anspruch genommen werden. Aber wie es denn, wenn ein Sozialhilfeempfänger bei einem vorübergehenden Aufenthalt im EU-Ausland erkrankt. Zahlt das Sozialamt dann nicht?
Rossi hat geschrieben: - Bei regulärer Versicherung können Satzungs(mehr)leistungen der Kasse in Anspruch genommen werden (§ 11 (6)). Satzungsleistungen gelten für Mitglieder und Familienversicherte oder allgemein für die „Versicherten“ (§ 11). Versorgte gem. § 264 sind aber keine Mitglieder und keine Versicherten; für sie gilt gem. § 264 (4) nur § 11 (1). Ausnahmen könnten nur konkrete Regelungen in den Vereinbarungen der Länder zur Umsetzung der Versorgung gem. § 264 vorsehen.
Na klar, die paar Euronen, die ein Bonusprogramm einbringt, wiegen natürlich die Beitragsrückstände auf.
Rossi hat geschrieben: - Versorgte gem. § 264 können bei Unzufriedenheit die KK nicht wechseln. Gem. § 264 sind bestimmte §§ des SGB V auch für die Versorgten anzuwenden; § 175 (4) ist dort nicht aufgeführt (BSG B 1 KR 26/15 R vom 8.3.16).
Da greift ihr aber ganz tief in die Trickkiste, um die SHEs zu motivieren. Ob denen das in der Gewissheit der Beitragsschulden so wichtig ist?

Ich glaube sowieso, dass ihr da gerne was "vergesst", wenn ihr so verfahrt:
Rossi hat geschrieben: Von daher gehen die meisten Sozialämter auch hin und nehmen den Anzeigebogen für die Versicherungspflicht gemeinsam mit dem Kunden auf, um Ruhe in die Geschichte zu bekommen.
Nämlich auf Mitwirkungspflichten, Grenzen der Mitwirkung und Ermessen hinzuweisen. Genau das, was du so gerne den Kassen vorwirfst.
Rossi hat geschrieben: Hinsichtlich der Angaben und Mitwirkung musst Du auch nicht darauf rumreiten, dass es ohne den Versicherten nicht geht. Es geht auch ohne den Versicherten; hierzu gibt es zahlreiche Urteile. Es muss dann ggf. von Amts wegen ermittelt werden und kein Versteckspiel hinter einem vermeintlichen Antrag.
Und wie stellst du dir die Amtsermittlung vor? Ich schreibe alle Kassen Deutschlands und alle PKVn an. Erhalte ich von dort keine positive Rückmeldung, weite ich es die EU-Krankenversicherungsträger aus. Oder wie? Es geht immer noch um den fiktiven Obdachlosen, der keinerlei Angaben macht und keine Angehörigen hat, nicht um den komatösen Sterbenden, bei dem Anhaltspunkte vorlagen, anhand derer ermittelt werden konnte.
Rossi hat geschrieben: Im übrigen würden kein Sozialhilfeträger in Deutschland seit dem 01.04.2007 einen Kunden, der nicht hilfebedürftig ist (also so eben über den Satz) nach § 264 Abs. 2 SGB V anmelden. Dies ergibt sich schon aus Satz 2 des § 264 Abs. 2 SGB V. Die Betreuung hängt von einem Leistungsbezug ab, der dann aber nicht vorliegt.
Wieder eine der berühmten Rossi-Nebelkerzen. Es geht überhaupt nicht um den § 264 SGB V, sondern um die anderweitige Absicherung über den SHT.

Rossi
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Beitrag von Rossi » 17.10.2016, 16:26

Du musst nicht alle Kassen in Deutschland anschreiben. Ein Versicherungsverlauf der DRV hilft dort erheblich weiter.

Eins ist klar; fast jeder Sozialhilfeträger wird auf die vorrangige Mitgliedschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V verweisen. Denn die Mitgliedschaft ist völlig gebunden und entsteht kraft Gesetz. Beitragsansprüche stehen auf der anderen Seite und hebeln den Grundsatz der Nachrangigkeit nicht aus. Ferner gibt es dann den § 76 SGB IV. Hierüber werden die Kunden beraten und unterstützt.

Wenn der Kunde das nicht will, dann wird der SH-Träger mit Sicherheit nicht den Betroffenen mal so eben bei einer Kasse nach § 264 SGB V anmelden.

Aber so einen Fall könnte man in der Praxis mal durchziehen oder probieren. Die Kasse bereitet für den Kunden den Widerspruch und den Klageantrag für das Sozialgericht gegen den Sozialhilfeträger vor. Der Sozialhilfeträger lehnt aufgrund der Vorrangigkeit ab; der Kunde verweist auf die Verschuldung und die Beratung durch die Kasse. Der Sozialhilfeträger beantragt im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahren die Beiladung der Kasse. Dann muss der Richter entscheiden, ob es sich um eine Wunsch- oder Pflichtversicherung handelt.

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