Hausarzt behandelt Kind nicht?

Fragen zu einzelnen Krankenkassen

Moderator: Czauderna

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Perlentaucherin
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Hausarzt behandelt Kind nicht?

Beitrag von Perlentaucherin » 10.12.2016, 13:08

Liebes Forum,
ich bin neu hier und habe eine Frage, die sich für mich in keines der Unterthemen so richtig einordnen lässt. Bitte verschieben, falls nötig, danke schön.

Meine Frage ist:

Wenn ein Hausarzt eine Kassenzulassung hat und ein Kind in seine Behandlungsräume gebracht wird, das vor Schmerzen (Mittelohrentzündung) weint, darf er dann die Behandlung ablehnen, inbesondere dann, wenn er Kenntnis davon hat, dass kein anderer Arzt im Umkreis noch geöffnet hat?

Darf ein Hausarzt sich auf den Standpunkt stellen, er behandelt grundsätzlich keine Kinder und nimmt auch keine Neupatienten mehr auf?

Danke :)

Okabe
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Beitrag von Okabe » 10.12.2016, 14:51

Ja, der Arzt kann dies tun, solange nicht ein Notfall vorliegt. Ob ein Notfall vorliegt, ist natürlich manchmal nur durch eine Untersuchung festzustellen. Wenn der Arzt entscheidet, dass es kein Notfall ist und es sich im Nachhinein doch als Notfall herausstellt, dann kann das ganz böse für den Arzt ausgehen.

Allerdings bedeutet Schmerzen+Weinen nicht gleich Notfall. Es gibt zudem einen ärztlichen Notdienst bzw. eine Notaufnahme im Krankenhaus.

EDIT/Ergänzung: Der Arzt mit Kassenzulassung kann dir als Kassenpatient natürlich nicht dauerhaft oder ohne Begründung die Behandlung verweigern - das geht nicht!
Zuletzt geändert von Okabe am 11.12.2016, 00:22, insgesamt 1-mal geändert.

Perlentaucherin
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Beitrag von Perlentaucherin » 10.12.2016, 16:20

Herzlichen Dank für die Antwort :) Ich fühle mich gut informiert, danke!

vlac
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Beitrag von vlac » 10.12.2016, 16:51

Hallo,

die gesetzlichen Regelungen dazu, wann ein Arzt untersuchen und behandeln MUSS, sind sehr komplex. Deshalb ist es unmöglich, ohne Kenntnis der konkreten Situation eine Aussage zu treffen.

Allgemein gesprochen definiert sich ein Notfall als eine Situation, in der Gefahr für das Leben oder dauerhafter Schaden für die Gesundheit zumindest vermutet wird. Der Grund, warum ich das so verschwurbelt formuliert habe ist, dass es Situationen gibt, bei denen der Mensch noch ansprechbar ist, aber Symptome zeigt, die auf sehr schwere Erkrankungen hindeuten. Ein sehr gutes Beispiel ist hier der Verdacht auf Schlaganfall.

Hinzu kommen akute Schmerzzustände: Also Situationen, in denen ein Patient so starke Schmerzen hat, dass die Vorstellung bei einem Arzt nicht mehr aufgeschoben werden kann.

In Bezug auf die gesetzlichen Krankenversicherung sind sowohl akute Notfälle als auch akute Schmerzzustände vom Ruhen der Leistungen bei Nichtzahlung der Beiträge ausgenommen. Gleichzeitig besteht darüber hinaus für alle Ärzte eine, theoretische, Behandlungsverpflichtung.

Aber: Diese Behandlungsverpflichtung ist keine exakte Wissenschaft. Sie ist für Situationen gedacht, in denen kein kurzfristiger Zugang zu den regulären Behandlungsstrukturen, also beispielsweise Notaufnahme, ärztlicher Notdienst, oder zum regulären Haus- oder Kinderarzt möglich ist. Dies ist aber in Deutschland im Regelfall nicht gegeben; der ärztliche Notdienst wurde zudem geschaffen, um die Behandlungsverpflichtung außerhalb der regulären Öffnungszeiten zu erfüllen.

Hinzu kommt, dass in Notfällen gemäß der Definition ebenso wie bei vielen akuten Schmerzzuständen ohnehin eine Vorstellung bei einem Facharzt erforderlich ist. Ein Arzt, der mit einer solchen Situation konfrontiert wird, würde also ohnehin einen Krankenwagen rufen, oder an eine Einrichtung verweisen, in der entsprechend ausgebildete Fachärzte verfügbar sind.

Er muss auch nicht unbedingt eine Untersuchung durchführen, um festzustellen, ob tatsächlich ein Notfall oder ein akuter Schmerzzustand vorliegt. Denn wenn da jemand in einer Hausarztpraxis steht,und einen Verdacht auf einen Schlaganfall, oder einen Knochenbruch äußert, ist erst einmal von vorneherein klar, dass der Hausarzt das nicht behandeln kann, und das zudem, im Falle des Schlaganfalls als Beispiel, Eile geboten ist.

Eine Mittelohrentzündung bei einem Kind ist sicherlich ein akuter Schmerzzustand. Steht der ärztliche Notdienst zur Verfügung, darf ein Arzt aber auch dann an diesen verweisen, wenn sich der Patient schon in der Praxis befindet.

Aber wie gesagt: Ein Urteil über den konkreten Fall ist nicht möglich, denn bei der Einschätzung, ob ein "akuter Schmerzzustand" vorliegt, kommt es auch auf weitere Faktoren an.

Die weiteren Ausführungen sind als allgemein zu verstehen, und nicht als Vermutungen, oder gar Vorwürfe im konkreten Fall; sie sollen helfen, die Gesamtsituation zu verstehen.

So muss beispielsweise bei einer akut schmerzenden Mittelohrentzündung die Frage beantwortet werden, was genau das Ziel der Vorstellung beim Arzt außerhalb der Öffnungszeiten ist. Dementsprechend wird von den Mitarbeitern der Arztpraxen, aber auch bei den ärztlichen Notdiensten, oft die Frage gestellt, ob bereits Medikamente verabreicht wurden, und ob diese wirksam waren und sind. Ist dies der Fall, ist die Situation kein akuter Behandlungsfall mehr. Wer einfach nur mal geschaut haben möchte, "ob alles in Ordnung ist", muss bis zur Öffnung des regulären Arztes warten.

Man sollte also niemals erwarten, dass man außerhalb der Öffnungszeiten eine Rund-um-Diagnostik und -Behandlung erhält.

Womit ich bei den erwähnten Notaufnahmen wären. Mittelohrentzündungen gehören nur im absoluten Ausnahmefall, nämlich dann, wenn der ärztliche Notdienst nicht verfügbar ist, in eine Notaufnahme.

Dennoch werden solche Patienten immer wieder in Notaufnahmen vorstellig, und die oft sehr langen Wartezeiten dort sorgen dann regelmäßig für Ärger. Der Hintergrund dieser Wartezeiten ist, dass Patienten nach Dringlichkeit behandelt werden. Und auch ein weinendes Kind ist, so zynisch das klingen mag, vor dem Hintergrund von Schlaganfällen, Herzinfarkten, schwersten Verletzungen wenig dringend.

Man muss aber hier auch den entsprechenden Kliniken Vorwürfe machen: Diese Systematik wird sehr oft nicht deutlich kommuniziert, was dann zu bizzarren Situationen führt, in denen der ärztliche Notdienst in der Nachbarschaft der Notaufnahme beheimatet ist, und sich in der Notaufnahme die Patienten mit Bagatellerkrankungen "stapeln" und darüber ärgern, dass es so lange dauert, während die Belegschaft des ärztlichen Notdienstes Däumchen dreht.

In einigen Regionen wurden von den ärztlichen Notdiensten Versuche unternommen, jene Patienten aus den Notaufnahmen in die Notdienste zu leisten. Dabei stößt man aber regelmäßig auf den Widerstand der Kliniken, die den Notdiensten vorwerfen, die Patienten "wegzunehmen". Denn die Vergütungen für Bagatell-Patienten nimmt man gerne.

Um noch einmal zum konkreten Fall zurück zu kehren. Meine Ausführungen sind theoretisch. Die Frage der Behandlungsverpflichtung ist zudem erst dann justiziabel, wenn ein Patient Schaden erlitten hat, und der Verdacht besteht, dass dieser Schaden auf einer Verletzung der Behandlungsverpflichtung beruht. Solche Fälle sind aber, wie dazu gesagt werden muss, ausgesprochen schwer, oft sogar unmöglich durchzusetzen. In allen Fällen, in denen aber kein Schaden zurück blieb, kann man nichts weiter tun, als sich zu ärgern.

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