Arzthonorar für Kassenpatienten

Welche Leistungen werden von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt?

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Micado
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Arzthonorar für Kassenpatienten

Beitrag von Micado » 05.12.2011, 22:39

Liebe Forumsmitglieder,
das ist sicherlich ein brisantes Thema, das zwar schon häufig öffentlich diskutiert wurde, ohne jedoch endgültige Aufklärung zu liefern. Es wird der Eindruck erweckt, dass nach der letzten Reform (Datum?) das Arzthonorar nur noch pauschal je Quartal nach Vorlage der Versichertenkarte mit ca. 35 € (wohl unterschiedlich je nach Fachrichtung) von den GKV gezahlt werde, eine Leistung werde dabei nicht berücksichtigt. Mir sagte mal ein Facharzt (allerdings augenzwinkernd): "Jetzt sind Sie in diesem Quartal schon zum zweiten Mal hier, damit ist mein Honorar von 32 € abgearbeitet." In Fernseh-Diskussionen kam sogar zum Ausdruck, dass es nur noch darum ginge, soviel Versichtenkarten wie möglich in einem Quartal "einzusammeln" und dass die Patienten nach Möglichkeit die Praxis nicht weiter bevölkern sollten. Das klingt alles unheimlich, ist kaum zu glauben. Und deshalb melde ich mich hier, um zu erfahren, was nun wirklich stimmt. Kann ein Arzt neben dem pauschalen Quartalshonorar Leistungen abrechnen? Man denke zunächst an das Gespräch (die Beratung), ohne dass eine Verordnung erforderlich ist - vielleicht nur ein Ratschlag, das "Abhorchen", Blutdruckmessen, EKG, Einsatz Ultraschall, Blutsenkung, Vorsorgeuntersuchung mit Belastungs-EKG, Röntgenaufnahmen, Spritzen. Das alles soll nicht extra abgerechnet werden können??? Es wurde ja auch behauptet, in der Situation müssten Ärzte IGEL-Leistungen anbieten, um überleben zu können. Den Katalog der "Wunschleistungen" bekommt man ja in einigen Praxen direkt präsentiert. Jetzt geht es aber nur um Leistungen aus der GKV. Was kann ein Arzt nun wirklich abrechnen? Wünschenswert wäre eine ehrliche Aufklärung. Danke im Voraus.

Lord Dragon
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Beitrag von Lord Dragon » 07.12.2011, 14:04

Teilweise stimmt das.

1. Für Leistungen wie Beratung, Rezept ausstellen, Untersuchung gibt es Regelleistungsvolumen (RLV). Das heißt, dass die Leistungen bis zu einer bestimmten Summe voll vergütet werden. Danach wird nur nach dem Prinzip, wenn noch Geld übrig bleibt, wird was bezahlt. z.B. ein Arzt hat RLV von 35 EUR pro Patient und Quartal. Er rechnet 1000 Punkte für Untersuchung, Rezept, Beratung ab. Damit hat er schon RLV erreicht 1000 Punkte x 0,035 EUR/Punkt=35,00 EUR. Ab da kann er zwar noch abrechnen, aber es gibt keine feste Vergütung pro Punkt. z. B. Kassenärztliche Vereinigung hat noch 150000 EUR übrig im Quartal. Alle Ärzte haben insgesamt 10000000 zusätzliche Punkte abgerechnet, die nicht über RLV vergütet werden. 150000 EUR/10000000 Punkte=0,015 EUR pro Punkt. Also kriegen die Ätzte für übrige Leistungen nur 0,015 EUR pro Punkt vergütet. Es können aber auch 0,0015 EUR pro Punkt sein. Das wird erst mitgeteilt nachdem Quartal zu Ende ist. Es kann auch passieren, dass der Arzt überhaupt keine Vergütung für restliche Punkte kriegt.

2. Belastungs-EKG, Langzeit-Blutdruckmessung, Langzeit-EKG, Sonografie, Röntgen usw. werden extra vergütet. Diese Leistungen sind aber auch budgetiert und auf eine bestimmte Anzahl an Patienten begrenzt. Einfache EKG oder einmalige Blutdruckmessung wird auch nicht extra bezahlt, diese Leistungen sind in der RLV drin. Extra werden nur aufwendigere Untersuchungen vergütet.

Micado
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Azthonorat für Kassenpatienten

Beitrag von Micado » 07.12.2011, 14:46

Hallo Lord Dragon,
danke für die Infos. Allerdings macht die Antwort sehr deutlich, dass die Sache kaum zu durchschauen ist. Da es insgesamt um die Sache sehr ruhig geworden ist, müssen wohl alle sehr zufrieden sein. Vielen Dank Lord Dragon.

Lord Dragon
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Re: Azthonorat für Kassenpatienten

Beitrag von Lord Dragon » 07.12.2011, 16:46

Micado hat geschrieben:Hallo Lord Dragon,
danke für die Infos. Allerdings macht die Antwort sehr deutlich, dass die Sache kaum zu durchschauen ist. Da es insgesamt um die Sache sehr ruhig geworden ist, müssen wohl alle sehr zufrieden sein. Vielen Dank Lord Dragon.
Die Ärzte sind nicht zufrieden, aber momentan können Sie nichts tun. Wir werden sehen, ob in Zukunft doch noch was passiert.

Kassenknecht
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Beitrag von Kassenknecht » 22.12.2011, 12:02

Die Frage lässt sich nicht pauschal beantworten, da für jede Facharztgruppe andere Abrechnungsziffern gelten. Aber grundsätzlich hat der Kassenarzt pro Patient nur eine Behandlungspauschale, die die gängigsten Untersuchungen einbezieht. Daneben gibt es bestimmte Untersuchungen oder Behandlungen, die extra abgerechnet werden können.

Das Honorar des Arztes ist jedoch durch das so genannte Regelleistungsvolumen (RLV) beschränkt. Jeder Arzt bekommt sein individuelles RLV am Quartalsanfang mitgeteilt und weiß somit, wieviel er durch die Behandlung seiner Patienten maximal verdienen darf. Überschreitet der Arzt sein RLV plus einen gewissen Pufferbetrag, wird das überzählige Honorar um ca. 90% gekürzt. Dem Kassenarzt bringt es also gar nichts, pro Patient möglichst viel abzurechnen oder möglichst viele Patienten zu behandeln, da sein Honorar in jedem Falle begrenz ist. Das ist übrigens auch der Grund, warum gerade Fachärzte am Quartalsende nur noch ungerne Patienten annehmen - sie verdienen an diesen nichts mehr. Das RLV berechnet sich übrigens aus den Behandlungszahlen des entsprechenden Vorjahresquartals.

Neben den RLV-relevanten Leistungen gibt es budgetfreie Leistungen. Das sind vor allem Vorsorgeleistungen, wie Gesundheitschecks und Impfungen, aber auch Operationsvorbereitungsuntersuchungen oder Notfallbehandlungen. Diese Leistungen sind ggf. nur pro Patient aber nicht durch ein Gesamthonorar gedeckelt.

Folgende RLV erhalten die bayerischen Fachärzte in diesem Quartal pro Patient, und zwar unabhängig davon, wie oft der Patient behandelt werden muss.

Internisten: 42,21€
Hausärzte: 41,77€
HNO-Ärzte: 28,09€
Orthopäden: 20,92€
Augenärzte: 19,99€
Chirurgen: 19,76€
Dermatologen: 18,96€
Gynäkologen: 16,72€

Die Kassen konnten bislang die Frage nicht beantworten, wie mit solchen Minihonoraren das wirtschaftliche Überleben von Arztpraxen in Zukunft funktionieren soll. Das macht sich seit geraumer Zeit schon dahingehend bemerkbar, dass es immer weniger niedergelassene ÄRzte bei einem immer größer werdenden Bedarf gibt. Ich persönlich plane in den nächsten drei bis fünf Jahren die Rückgabe meiner Kassenzulassung, sofern mich nicht vorher schon die Insolvenz einholt. Ohne IGeL und Privatpatienten wäre nicht nur ich schon längst pleite, und das bei einer dtl. überdurchschnittlichen Patientenzahl.

Dr. Know
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Beitrag von Dr. Know » 22.12.2011, 12:45

Solche "Minihonorare" hätte ich auch gern...

kbv.de/publikationen/24851.html

Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 22.12.2011, 12:47

Kassenknecht hat geschrieben:Die Frage lässt sich nicht pauschal beantworten, da für jede Facharztgruppe andere Abrechnungsziffern gelten. Aber grundsätzlich hat der Kassenarzt pro Patient nur eine Behandlungspauschale, die die gängigsten Untersuchungen einbezieht. Daneben gibt es bestimmte Untersuchungen oder Behandlungen, die extra abgerechnet werden können.

Das Honorar des Arztes ist jedoch durch das so genannte Regelleistungsvolumen (RLV) beschränkt. Jeder Arzt bekommt sein individuelles RLV am Quartalsanfang mitgeteilt und weiß somit, wieviel er durch die Behandlung seiner Patienten maximal verdienen darf. Überschreitet der Arzt sein RLV plus einen gewissen Pufferbetrag, wird das überzählige Honorar um ca. 90% gekürzt. Dem Kassenarzt bringt es also gar nichts, pro Patient möglichst viel abzurechnen oder möglichst viele Patienten zu behandeln, da sein Honorar in jedem Falle begrenz ist. Das ist übrigens auch der Grund, warum gerade Fachärzte am Quartalsende nur noch ungerne Patienten annehmen - sie verdienen an diesen nichts mehr. Das RLV berechnet sich übrigens aus den Behandlungszahlen des entsprechenden Vorjahresquartals.

Neben den RLV-relevanten Leistungen gibt es budgetfreie Leistungen. Das sind vor allem Vorsorgeleistungen, wie Gesundheitschecks und Impfungen, aber auch Operationsvorbereitungsuntersuchungen oder Notfallbehandlungen. Diese Leistungen sind ggf. nur pro Patient aber nicht durch ein Gesamthonorar gedeckelt.

Folgende RLV erhalten die bayerischen Fachärzte in diesem Quartal pro Patient, und zwar unabhängig davon, wie oft der Patient behandelt werden muss.

Internisten: 42,21€
Hausärzte: 41,77€
HNO-Ärzte: 28,09€
Orthopäden: 20,92€
Augenärzte: 19,99€
Chirurgen: 19,76€
Dermatologen: 18,96€
Gynäkologen: 16,72€

Die Kassen konnten bislang die Frage nicht beantworten, wie mit solchen Minihonoraren das wirtschaftliche Überleben von Arztpraxen in Zukunft funktionieren soll. Das macht sich seit geraumer Zeit schon dahingehend bemerkbar, dass es immer weniger niedergelassene ÄRzte bei einem immer größer werdenden Bedarf gibt. Ich persönlich plane in den nächsten drei bis fünf Jahren die Rückgabe meiner Kassenzulassung, sofern mich nicht vorher schon die Insolvenz einholt. Ohne IGeL und Privatpatienten wäre nicht nur ich schon längst pleite, und das bei einer dtl. überdurchschnittlichen Patientenzahl.
Hallo, ich bin seit 43 Jahren für eine Krankenkasse tätig und habe deshlab ausreichend eigene Erfahrungen was die Bezahlung der Kassenärzte angeht, kenne auch deren Sorgen und Nöte, kenne aber auch die Fälle, wo auf sehr hohem Niveau gejammert wird.
Grundsätzlich bin ich auch kein Freund dieser Pauschalbeträge und bin der Meinung (meine eigene, wohlgemerkt), dass das frühere System -
"Arzt behandelt - rechnet diese Behandlung ab und weiß definitiv sofort, welchen Betrag er dafür von der Kasse bekommt - und bekommt dieses Geld auch sofort nach der
Quartalsabrechnung und nicht erst ein halbes Jahr später".
Dass es seinerzeit bei diesem System "schwarze Schafe" um nicht zu sagen
"Verbrecher" gab, die abrechneten ohne behandelt zu haben oder Behandlungen abrechneten, die so nicht erbracht wurden, ja, das gab es natürlich, und nicht zu knapp - aber heute ist das doch nicht anders, nur die Methoden haben sich eben geändert.
Das Problem ist doch auch, dass es gravierende Unterschied gibt, entweder von Fachgruppe zu Fachgruppe oder von ländlichem Gebiet zum Ballungsgebiet bzw. der Groß-Stadt. Da, wo ich herkomme, da jammern die Ärzte und die Zahnärzte auch, aber aufgehört, Insolvent geworden oder die Zulassung zurückgegeben - die kann ich den 43 Jahren an einer Hand abzählen.
Wenn hier "angekündigt" wird, die Kassen-Zulassung zurückzugeben und im gleichen Beitrag geschrieben wird, dass ohne die IGEL-Leistungen und die Privatpatienten schon längst die Praxis am Ende wäre, dann ist das nicht so logisch, denn ohne die Kassenzulassung kämen nur noch die Privat-Patienten
und mit den IGEL-Leistungen wäre es demzufolge auch aus - und wer will
uns ernsthaft hier rüber bringen, dass die Existenz als reiner Privatarzt
in einem ländlichen Bereich die bessere Alternative zur Kassenarztpraxis ist.
Hinzu käme auch noch, dass bei Rückgabe der Zulassung eine Rückkehr nicht so schnell und nicht ohne weiteres möglich ist und das eine Rückgabe die
Kassen und die KV. nicht besonders beeindruckt - was die Patienten angeht, die, wie meist die "Dummen" bei solchen Sachen sind - die müssen sich eben einen neuen Arzt suchen, und auch hier (ich kann natürlich nur wieder aus meinem Einzugsgebiet sprechen), ist das kein Problem, bei dem zahlreichen Angebot.
Gruss
Czauderna

roemer70
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Beitrag von roemer70 » 22.12.2011, 14:17

Kassenknecht hat geschrieben:Das macht sich seit geraumer Zeit schon dahingehend bemerkbar, dass es immer weniger niedergelassene ÄRzte bei einem immer größer werdenden Bedarf gibt.
Den größer werdenden Bedarf trage ich demografiebedingt noch mit, aber "immer weniger niedergelassene Ärzte"?

1990 hatten wir laut Bundesärztekammer 237.750 berufstätige Ärzte (davon 92.289 im ambulanten Bereich).
2007 sind es schon 314.912 (137.538 ambulant - durchgehende Zuwachsraten!).

Damit kamen 1990 auf einen Arzt 335 Einwohner, 2007 sind es 261.

Quelle: http://www.bundesaerztekammer.de/downlo ... belle1.pdf

Im Zeitraum 2001 bis 2007 stiegen die Ausgaben für ärztliche Behandlung pro Mitglied von 429 € auf 489 € (+13,99 %)*, die Anzahl der niedergelassenen Ärzte stieg im gleichen Zeitraum hingegen "nur" von 129.986 auf 137.538 (+5,81 %).

* Quelle: KJ1 BMG

Ich sehe hier also kein generelles Finanzierungsproblem, sondern ein Verteilungsproblem. Es gibt schöne Statistiken darüber, welche Arztgruppe wieviel verdient. Und auch wie hoch die Ärztedichte in manchen Bereichen ist.

M.E. ist mehr als genug Geld im System der ärztlichen Versorgung - vielleicht sollte man nur die Geldströme umlenken.

Dafür dann aber der GKV die alleinige Schuld zuzuweisen, hieße, die Rolle der KVen und des Gesetzgebers zu verkennen... Und einigermaßen kostenneutrale Vorschläge seitens der Ärzte sind bislang auch nicht oft vorgekommen - fast immer hieß es nur "mehr Geld"...

Kassenknecht
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Beitrag von Kassenknecht » 23.12.2011, 18:12

@ drknow, Czauderna u. roemer70:

Sie erkennen das grundsätzliche Problem nicht. Der Deutsche geht mit stark progredienter Tendenz zur Zeit häufiger als 18 mal pro Jahr zum Arzt. Vor 10 Jahren waren es erst etwa 12 Besuche. Schuld daran ist die demografische Entwicklung, die Deutschen werden älter und kränker. Wo früher relativ wenige Ärzte ausgereicht haben, brauchen die Versicherten heutzutage viel mehr Ärzte. Die Ärzte müssen also immer mehr leisten, und es werden immer mehr benötigt, ohne dass das Honorar inflationsbereinigt angestiegen wäre. Honorar ist übrigens nicht Gewinn. Von einem Honorar von 200000 € (=Umsatz) bleiben nach Abzug aller Praxiskosten etwa 100000€ Bruttogewinn übrig, welcher nicht mit dem Bruttoeinkommen eines Angestellten vergleichbar ist. Von 100000 brutto bleiben etwa 60000€ Netto. Dafür macht man sich heutzutage nicht mehr selbständig, mit allen Risiken, allen voran das Risiko eines Kassenregresses, und schon gar nicht bei einer Arbeitszeitbelastung von 60 bis 80 Stunden pro Woche (ohne Dienste). Als Oberarzt verdient man mindestens genauso gut - und das ganz ohne Risiko und mit Arbeitszeitkonto!

Derzeit fehlen in Deutschland etwa 3500 Hausärzte. Das hört sich nicht nach viel an. Wenn man aber bedenkt, dass diese 3500 Hausärzte pro Quartal etwa 2,8 Mio Menschen behandeln würden, die nun zu anderen Ärzten müssen, ist es doch ziemlich viel. Das Praxissterben hat gerade erst angefangen. Das Durchschnittsalter der Hausärzte beträgt über 55 Jahre, das der Fachärzte kaum weniger. Nachwuchs gibt es bei Hausärzten kaum. Schon jetzt schließt etwa jede dritte Praxis ohne Nachfolger, allein in Bayern, das als gut versorgt gilt, schließt jede Woche eine Praxis für immer. Allein in Meckelnburg-Vorpommern fehlen schon 450 Hausärzte. In 10 Jahren werden in D zwischen 10000 und 20000 Hausärzte fehlen, die pro Quartal 8 bis 16 Mio Menschen behandeln könnten (800 Fälle pro Quartal). Diese Millionen von Patienten werden zu den verbliebenen Ärzten gehen und diese vollkommen überlasten. Das System wird kollabieren.

Die Rückgabe der Kassenzulassung ist übrigens kein Widerspruch zu den IGeL. Man kann seine Zulassung natürlich nicht zurückgeben, wenn man in der Großstadt tätig ist, mit (noch) 10 anderen Praxen im Umkreis von 5 km. Wenn man jedoch wie ich auf dem Lande niedergelassen ist, in einer mittelgroßen Gemeinde, deren dritter Hausarzt eben gerade seine Praxis aus Altersgründen geschlossen hat (natürlich ohne Nachfolger), am Limit arbeitet (2800 Arztpatientkontakte pro Quartal, davon 1200 unbezahlt) und die Patienten keine große Auswahl haben, dann ist die Rückgabe der Zulassung eine ganz hervorragende Option. Wenn die Patienten nämlich die Wahl haben zwischen keiner Behandlung bzw. einer Behandlung nach vierwöchiger Wartezeit auf einen Termin und weitere vier Stunden im Wartezimmer oder einer privatärztlichen Behandlung für durchschnittlich 40€, dann fällt die Entscheidung nicht schwer. Außerdem plant man dann seine Arztbesuche besser, und aus bspw. vier Besuchen pro Quartal (weil's ja nix kostet) werden ganz schnell nur zwei. Außerdem hat der Patient dann den Vorteil, keine 5-Minuten-WANZ-Kassen-Medizin erdulden zu müssen, sondern er kann sich darauf verlassen, dass sich der Arzt genügend Zeit nimmt.
Ebenso denken übrigens immer mehr Ärzte in dünner besiedelten Gebieten. Ich kenne mittlerweile viele KollegInnen, die diesen Schritt in den nächsten Jahren gehen werden. Die Kassen werden daher demnächst ein größeres Problem bekommen. Da natürlich die KVen nichts am Rückzug der Ärzte aus der Kassenversorgung ändern können (das VStG ist ein Rohrkrepierer), müssen die Kassen ihren an die KV delegierten Sicherstellungsauftrag selbst erfüllen, was sie nur können, wenn sie ihren Versicherten die Privatrechnungen erstatten. Und eben darauf wird es hinauslaufen. Zwar konnte Hoppenthaller letztes Jahr nicht genug Hausärzte auf einmal motivieren, diesen Schritt zu tun, aber die meisten Hausärzte werden mit der Zeit selbst merken, dass dies der einzige gangbare Weg ist.

Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 23.12.2011, 19:52

Hallo,

"......Ebenso denken übrigens immer mehr Ärzte in dünner besiedelten Gebieten. Ich kenne mittlerweile viele KollegInnen, die diesen Schritt in den nächsten Jahren gehen werden. Die Kassen werden daher demnächst ein größeres Problem bekommen. Da natürlich die KVen nichts am Rückzug der Ärzte aus der Kassenversorgung ändern können (das VStG ist ein Rohrkrepierer), müssen die Kassen ihren an die KV delegierten Sicherstellungsauftrag selbst erfüllen, was sie nur können, wenn sie ihren Versicherten die Privatrechnungen erstatten. Und eben darauf wird es hinauslaufen. Zwar konnte Hoppenthaller letztes Jahr nicht genug Hausärzte auf einmal motivieren, diesen Schritt zu tun, aber die meisten Hausärzte werden mit der Zeit selbst merken, dass dies der einzige gangbare Weg ist."

Das wage ich allerdings doch zu bezweifeln. Kassenzulassungen im großen Stil zurückgeben um die Kassen zu Zwingen die Privatrechnungen zu erstatten.
Solche Pläne gab es schon einmal, oder irre ich mich da.
Ich denke, es gibt trotz allem immer noch genug junge Ärzte, die sofort eine Kassenpraxis aufmachen würden, auch im ländlichen Bereich, wenn die Voraussetzungen dafür etwas verändert werden, aber warten wir es ab, ob es im nächsten Jahr so kommt, dass "Kassenknecht" und Kollegen die Zulassung zurückgeben und die ortsansässigen Hartz IV- Empfänger, die Rentner und der Rest der Kassen versicherten dann die Privatpraxen stürmen.
Ach ja, und dann soll auf einmal mehr Zeit für den Patienten da sein und die Privatrechnungen werden selbstverständlich nur mit dem 1,0 GOÄ Satz erstell
und die Verordnungen für Heil- und Hilfsmittel auch nur noch als Privat-Verordnung und die Krankenhauseinweisung auch nur als Privatpatient ?
Gruss
Czauderna

Bully
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Beitrag von Bully » 23.12.2011, 20:47

Hallo,


ja, man muß sich schon etwas einfallen lassen,

aber auch das führte zu keinem Erfolg, :) :)




Dorf will neuen Arzt mit Würstchen ködern,

Ein Dorf im Münsterland greift bei der verzweifelten Suche nach einem neuen Landarzt zu ungewöhnlichen Mitteln: .....


focus.de/panorama/welt/gesundheit-dorf-will-neuen-arzt-mit-wuerstchen-koedern_aid_576012.html

Gruß Bully

roemer70
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Beitrag von roemer70 » 24.12.2011, 01:47

Erst hielt ich den Focus-Artikel für einen Aprilscherz. Aber dann wurde mir klar, dass das hier ernst gemeint ist:
„Zu einer Gemeinschaft gehört auch ein Arzt. Das fehlt so richtig.“ Das findet auch die Rentnerin Roswitha Kröger. Weil sie regelmäßig Tabletten braucht, muss sie nun ins fünf Kilometer entfernte Clarholz zum Arzt fahren.
*ironie=an* Wo soll man sich auch ohne Wartezimmer zum geselligen Plausch treffen? Und 5 Kilometer sind echt unzumutbar... *ironie=aus*

Wenn die Patienten die 5 Kilometer mit dem Rad oder zu Fuss zurück legten, bräuchten einige von ihnen mit Sicherheit auch keine Blutdruckmittelchen mehr... Aber ich schweife ab. :wink:

Dr. Know
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Beitrag von Dr. Know » 24.12.2011, 15:06

@ Kassenknecht

Das Problem ist mir durchaus bewusst. Die Frage ist, ob unser Gesundheitssystem vor den von Ihnen geschilderten Hintergründen weiterhin so luxuriös ausgestaltet bleiben kann.

Brauchen wir in Deutschland z.B. wirklich mehr Apotheken als Briefkästen? Meiner Meinung nach nicht!!

Außerdem ist definitiv genug Geld im System. Es scheint einzig und allein ein Verteilungsproblem zu geben. Auch die von Ihnen genannten Zahlen (60.000 € Netto) sind schon diskutabel. Wissen Sie, in welcher Branche man sonst Einkünfte in der Dimension hat? Bitte nicht falsch verstehen, ich finde, dass wir gute Ärzte brauchen, die auch hohe Einkünfte erzielen. Aber vielleicht sind die Zeiten von Unverhältnismäßkeiten auch einfach vorbei...

Ich verhandle übrigens regelmäßig mit Ärzten über Leistungsverträge. Wenn ich so manches Statussymbol sehe (Hilfiger, Porsche, Rolex und co.), dann habe ich nicht den Eindruck, dass diese Ärzte sich über ihr Dasein beklagen. Selektive Wahrnehmung.

In diesem Sinne: frohe Weihnachten!

Lady Butterfly
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Beitrag von Lady Butterfly » 24.12.2011, 16:34

Die Kassen werden daher demnächst ein größeres Problem bekommen. Da natürlich die KVen nichts am Rückzug der Ärzte aus der Kassenversorgung ändern können (das VStG ist ein Rohrkrepierer), müssen die Kassen ihren an die KV delegierten Sicherstellungsauftrag selbst erfüllen, was sie nur können, wenn sie ihren Versicherten die Privatrechnungen erstatten.
tja...und wieso braucht man die KVen dann noch? die Kassen könnten dann das ganze Geld für deren Verwaltung und Funktionäre einsparen und in die ärztliche Versorung investieren...

und die Kassen könnten mit den Ärzte individuelle Verträge vereinbaren, in denen auch mit Anreizen gearbeitet wird...z. B. wenn die Versicherten innerhalb einer Woche einen Termin bekommen und eine Wartezeit von weniger als einer halben Stunde haben, gibts mehr Geld. Man könnte auch die Patientenzufriedenheit mit der Vergütung koppeln - da gibt's durchaus interessante Möglichkeiten. Oder die wirtschaftliche Verordnung von Medikamenten.

die Kassen hätten dann auch bessere Möglichkeiten, die schwarzen Schafe unter den Kassenärzten zu sanktionieren bzw. Abrechnungsbetrug aufzudecken. Dies wäre dann ein Vorteil für die Mehrheit der Ärzte, die sich korrekt verhalten und korrekt abrechnen.

ach ja: die Frage, ob es sich um Untreue handelt, wenn die Ärzte Zahlungen von Pharmaunternehmen annehmen und deshalb deren Präparate vermehrt verordnen, wäre dann auch leichter zu beantworten.

Ich persönlich würde da gar nicht mal so schlecht finden.

Frohe Weihnachten zusammen!

Gruß
Lady Butterfly

röschen
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Beitrag von röschen » 24.12.2011, 17:21

Lady Butterfly hat geschrieben:in denen auch mit Anreizen gearbeitet wird...z. B. wenn die Versicherten innerhalb einer Woche einen Termin bekommen und eine Wartezeit von weniger als einer halben Stunde haben, gibts mehr Geld.
Gaanz toll! Ich hatte schon einen Neurologen, bei dem man innerhalb von immerhin 3 Wochen einen Termin bekam und selten mehr als 10 Minuten wartete - vermutlich, weil man bei dem auch nach 3 - 5 Minuten wieder draußen war! Beim jetzigen vereinbare ich zwar gleich den nächsten Termin, weils länger dauert. Und warte mitunter 1 - 2 Stunden. Eben, weil der sich auch die Zeit nimmt, die man gerade akut braucht! Der arbeitet meist bis 19 oder 20 Uhr, auch wenn die Sprechstunde offiziell bis 17 Uhr geht. Was mir wohl lieber ist?

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