Notfallversorgung bei Nichtversicherten übers Gesundheitsamt

Fragen zu einzelnen Krankenkassen

Moderator: Czauderna

CiceroOWL
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Re: Argumente für diesen Beiträge

Beitrag von CiceroOWL » 12.12.2013, 13:54

Helmes63 hat geschrieben:Die Antwort will ich nicht schuldig bleiben:

1) zunächst einmal gibt es angeblich hier eine Dunkelziffer von Nichtversicherten die weit in den sechstelligen Bereich geht ; also ist das ein gesellschaftlich relevantes Thema

Nicht unbedingt

2) kusieren wohl bei einer Erkrankung im Versicherungsfalle eine Reihe von Fehlinformationen, die durchaus zu fatalen Missverständnissen führen können.
Daher sehe ich meine Frage als entsprechende Sachaufklärung in Ergänzung zu den dürftigen Presseberichten die ich hierzu bisher gelesen habe.

Presse ist Schall und Rauch

3) vermisse ich eine staatliche Initiative um dieser Problematik besser herr zu werden. Zwar wird wohl ein insolvent gewordener Selbständiger irgendwie in das HARTZ-System integriert werden, aber Problemfälle scheint es offenkundig genug zu geben.

Selbsständige sind von Berufswegen versicherungsfrei und schreien meist sonst auch nich tnach dem Staat, die entsprechenden Angebote stehen. Das einzigste wo sich die Groko noch rantrauen müßte wäre § 240 sGB V , die Beiträge für Selbsständige.

nachgehakt:
stimmt denn die Dunkelziffer von mehr als 100.000 Fällen als statistische Erhebung wirklich der Realität ?

Bodi
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Beitrag von Bodi » 12.12.2013, 14:24

Die Aufklärung ist in der Tat mangelhaft und "keineswegs jede Woche in der Zeitung". Beispiel: Schuldenerlass bis 31.12.2013. Wer darüber etwas auf den Homepages selbst der großen GKVen wie DAK, AOK,TKK sucht, wird kaum fündig werden. Bei den privaten Kassen sieht es nicht besser aus. Auf den Lobbyseiten pkv.de und GKV-Spitzenverband.de muss man schon lange und gezielt suchen.

Und da wundert man sich, dass sich bis zur "Halbzeit" bei den großen Kassen nur wenige 100 zur Wiederversicherung eingefunden haben.

Das Thema war zwar im Sommer, als Bundestag und Bundesrat dem Gesetz zugestimmt hatten, vorübergehend in den Medien, aber selbst da wurden die Zusammenhänge vielfach falsch fargestellt - Nichtversichete wurden z.B. mit freiwillig versicherten in einen Topf geworfen ("kein Beitragserlass für Selbständige"), dazu lange Unklarheit über den Beitragserlass, bis der GKV-Spitzenverband seine Grundsätze im September veröffentlichte.

derKVProfi

Beitrag von derKVProfi » 13.12.2013, 06:15

Sorry, aber der Bürger hat sich nicht informiert, keine nachrichten geschaut, keine zeitung geklesen .... wir wollen aber auch keinen schgnüffelstaat, der alles weiß und kontrolliert!

Was wollen wir eigentlich? Das der Staat sich nicht einmischt, uns unsere Kohle lässt, aber wenn jemand zwischen den Stühlen hockt, dann soll der Staat "Wattebausch-werfend" und in "vorauseilender Fürsorge" da sein, ohne das jemand Hilfe ruft?
"Wer wesentliche Freiheit aufgeben kann um eine geringfügige bloß jeweilige Sicherheit zu bewirken, verdient weder Freiheit, noch Sicherheit."

Benjamin Franklin

vlac
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1. Teil: Wenn Notfälle für böses Blut sorgen

Beitrag von vlac » 15.12.2013, 13:07

Hallo,

zunächst einmal zur konkreten Fragestellung hier in diesem Thread - der Versorgung von Notfällen, wenn kein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung besteht.

Vorweg: Was die Definition eines Notfalls ist, hatte ich bereits in einem anderen Thread des Themenerstellers dargelegt. Ein Notfall ist ein Gesundheitsszustand, dessen Behandlung keinen Aufschub duldet, weil Grund zu der Annahme besteht, dass er jetzt akut, also jetzt im Moment, die Gesundheit des Betroffenen dauerhaft bedrohen könnte, oder aber starke Schmerzen verursacht. Ersteres ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Patient bewusstlos ist, sehr hohes Fieber hat, oder aber auch Symptome aufweist, die das Umfeld nach allgemeiner Lebensanschauung vermuten lassen müssen, dass eine ernsthafte Erkrankung wie ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall vorliegt. Zweiteres ist immer dann der Fall, wenn der Betroffene unter starken Schmerzen leidet, wobei dies meist mit dem Ersteren einher geht: Es liegen Schwellungen oder Deformitäten vor, die vermuten lassen, dass etwas Ernstes passiert ist. Auch bei starken Kopfschmerzen muss unter Umständen über die starken Schmerzen hinaus vermutet werden, dass etwas Schlimmes geschehen ist.

Davon abzugrenzen ist die akute Erkrankung, die der Gesetzgeber in seiner unenendlichen Weisheit als Messlatte für den neuen Notlagentarif in der privaten Krankenversicherung eingehängt hat. Thorulf Müller hat hier im Forum mehrmals sehr allgemein verständlich dargelegt, was das umfasst - mal mit meinen eigenen Worten zusammen gefasst: alles, was im Moment Beeinträchtigungen hervor ruft.

Wir sprechen hier aber im Moment nur von Notfällen.

Notfälle gehören gemäß ihrer Definition umgehend ins Krankenhaus, wobei es in bestimmten Fällen, wie beispielsweise dem Verdacht auf einen Knochenbruch, auch ein niedergelassener Chirurg tut. Beispielsweise.

Die Gesundheitsämter unterhalten in Deutschland flächendeckend keine Notfallversorgungsmöglichkeiten; das ist nicht in ihrem Aufgabenkatalog vorgesehen.

Zuständig sind die Leistungserbringer innerhalb der etablierten medizinischen Versorgungsstrukturen in Deutschland, also Krankenhäuser und nieder gelassene Ärzte. In einem Notfall gemäß der oben genannten Definition sind sie zur Behandlung verpflichtet; sie darf nicht aufgeschoben werden, bis die Frage der Kostenübernahme geklärt ist.

Es ist nicht notwendig, dass vorher von einem "Amtsarzt" das Vorliegen eines Notfalls fest gestellt wird. Ob eine Behandlung oder weitere Diagnostik notwendig sind, stellen der niedergelassene oder der Krankenhaus-Arzt nach einer ersten Untersuchung fest; häufig wird in Notfällen auch der Krankenwagen gerufen. In diesem Fall ist es der Notarzt, der feststellt, ob hier wirklich ein Notfall vorliegt. Da müssen also weder Gesundheitsamt noch Amtsarzt involviert werden. Die Kosten für die Erstuntersuchung halten sich auch für Selbstzahler einigermaßen im Rahmen, wobei allerdings noch die Kosten für den Krankenwagen hinzu kommen, falls ein solcher gerufen worden sein sollte. Je nach Gebiet werden dafür 200 bis 500 Euro fällig, die ohne Krankenversicherung von den Betroffenen privat eingefordert werden.

Darüber hinauf fängt der Zähler erst dann richtig an zu rotieren, wenn Diagnostik und Behandlungen eingeleitet werden, womit sich dann auch die Frage der Kostenübernahme stellt.

In Krankenhäusern helfen hierbei Mitarbeiter der Verwaltung und vielerorts auch die sozialen Dienste. Man kann direkt danach fragen; in vielen solcher Fälle wird der soziale Dienst aber auch vom medizinischen Personal eingeschaltet.

Dennoch, und damit schlage ich langsam den Bogen zum anderen hier besprochenen großen Themenkomplex, den Beitragsschulden, sorgt die Antwort auf diese Frage regelmäßig für sehr großen Ärger, weil die betroffenen Patienten damit konfrontiert werden, dass sie Geld bezahlen müssen - auf die eine oder die andere Weise.

Denn die Sozialämter stellen nur noch in bestimmten, genau definierten Fällen Behandlungsscheine aus. Und alle anderen müssen spätestens an diesem Punkt zurück in jene Krankenversicherung, in der sie mal gewesen sind - oder aber die Rechnung selbst bezahlen.

Ein Sonderfall sind dabei diejenigen, deren Leistungsanspruch aus der Gesetzlichen Krankenversicherung wegen Beitragsrückständen ruht: Zwar haben sie Anspruch auf die Notfallbehandlung, doch davon ist nur die Akutbehandlung selbst, nicht aber eine umfassende Nachbehandlung umfasst. Auch bei der Akutbehandlung müssen sie gegenüber dem Leistungskatalog der GKV Abstriche hinnehmen: Erlaubt ist nur das medizinisch zweifelsfrei Notwendige.

Bei denjenigen, die derzeit überhaupt keinen Versicherungsschutz haben, dürfen die Leistungserbringer darauf dringen, dass die Krankenversicherung hergestellt wird, oder aber die Leistungen auf die Beseitigung von lebensbedrohlichen Zuständen und / oder die Behandlung des Schmerzzustandes beschränken, wenn sich der Patient weigert, eine Abrechnung über seine alte Krankenversicherung herbei zu führen.

Dazu muss ich deutlich machen, dass man damit meiner Erfahrung nach nie besser fährt: Einmal abgesehen vom Knochenbruch, bei dem man, wenn man konservativ behandeln lässt, und auf MRTs, CTs, Plastikgips oder Orthesen verzichtet, nur um einige hundert Euro ärmer nach Hause zurück kehrt, erzeugt selbst die reine Akutdiagnostik von Notfällen sehr hohe Kosten, die schnell an der 1000 Euro-Marke kratzt. Bestätigt sich ein Verdacht, sind wir im akuten Bereich schnell bei 10 000 Euro. Und haben dafür noch nicht einmal eine anständige Nachbehandlung eingekauft.

Für Unmut sorgt das vor allem, weil viele der Betroffenen in der Vergangenheit die Frage der Absicherung für den Krankheitsfall unter der Prämisse betrachtet haben, dass jemand schon zahlen wird, wenn sie ernsthaft krank werden, und viele, die schon im Krankenhaus sind, sehen auch dann noch nicht ein, warum sie Beiträge nachzahlen sollen, wenn sie die hohe Rechnung gesehen haben; es wird dann sehr oft auch die Frage gestellt, die auch hier im Forum recht häufig durchklingt: "Ja, aber warum? Ich habe doch nie Leistungen in Anspruch genommen."

Das Gegenstück dazu bilden die Reaktionen von jenen, deren Leistungen ruhen, und die nun fest stellen müssen, dass sie die (nach deutschen Standards ausreichende, nach den Standards anderer westlicher Länder aber immer noch als Luxus-Behandlung zu betrachtende) Minimalversorgung bekommen, und für den Rest selbst in die Tasche greifen sollen: "Ja, aber warum? Ich habe doch schon so viel Geld in die Kasse eingezahlt, und jetzt im Notfall bekomme ich nur das? Ich dachte, da wäre ich abgesichert."

vlac
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2. Teil

Beitrag von vlac » 15.12.2013, 15:11

Die Krankenkassen haben meiner Ansicht nach ein Erklärungsproblem. Und die Versicherten Verständnisschwierigkeiten.

Die Krankenkassen sprechen von freiwillig, wo kein freiwillig mehr ist; sie haben keine Beiträge eingefordert, wenn sich in der Lebenssituation eines Menschen etwas verändert hat, und derjenige sich nicht gemeldet hat, obwohl eine Versicherungspflicht herrscht. Das versteht der Normalmensch nicht: In der Welt der Krankenkassen und Krankenversicherungen wird eine eigene Sprache gesprochen, die man erst erlernen muss.

Die Wenigsten befassen sich aber überhaupt damit; die Meisten in Deutschland haben überhaupt je gelernt, sich mit ihrem Krankenversicherungsschutz zu beschäftigen: Die Gesundheit kommt aus der Karte, die bei Arbeitnehmern immer voll mit Geld ist, ohne dass sich der Arbeitnehmer damit beschäftigen muss: Das Abo für die Flatrate ist nur ein Posten auf dem Gehaltszettel, und man kann damit ohne zu Hinterfragen alles in Anspruch nehmen, was die subtil gestreute Werbung in den einschlägen Online- und Offline-Medien so als medizinisch absolut notwendig und total In in den Sinn befördert hat, bis der MdK die Geschwindigkeit drosselt.

In dieser Situation scheint das Verständnis für das Wesen des Krankenkassensystems verloren gegangen zu sein - das Verständnis für das Prinzip, nach dem das solidarische Gesundheitssystem funktioniert. Und ich kann nicht erkennen, dass es aktuell Ansätze gibt, dies den Leuten zu erklären. Der Normalmensch begreift eine Krankenkasse nicht als die große Haushaltskasse, die sie eigentlich ist, sondern als Wirtschaftsunternehmen, dass den Leuten das Geld vom Gehaltszettel streicht, und dann Überschüsse scheffelt. Warum sollte man da nachzahlen müssen? Warum überhaupt was zahlen? Die Kassen haben's ja. Mal mit meinen eigenen Worten jene Dinge zusammen gefasst, die ich aus Studien, persönlichen Gesprächen, Statistiken zusammen gesammelt habe.

Es dürfte genau dies sein, was letzten Endes dazu geführt hat, dass vor allem Selbständige in die Beitragsschuldenfalle geraten sind. Als Arbeitnehmer, als ALG I- oder ALG II-Empfänger hat man vom Geldfluss in Richtung Kasse kaum etwas mitbekommen. Nun muss man sich selbst damit befassen. Man muss selbst die soziale Absicherung auf dem Schirm haben. Und das fällt nicht wenigen heftig schwer. Zumal der Selbständigkeit in Deutschland traditionell die Aura anhaftet, etwas Besonderes, "sein eigener Chef" zu sein, was dann den einen oder anderen sehr schnell in die private Krankenversicherung befördert: Man ist sein eigener Chef, also kann man sich auch was Besseres gönnen. Und das Beste: Man kommt auch noch günstiger weg, als in der GKV.

Das war jetzt mit meinen eigenen Worten ausgedrückt - steht aber beispielsweise ungefähr so in einer Werbeschrift einer privaten Krankenversicherung, die mir gestern ins Haus geflattert ist: Es sei eine "intelligente Entscheidung" sich privat zu versichern.

Ist es das? Um noch einmal Thorulf Müller zu zitieren, allerdings mit meinen eigenen Worten: Man muss das Selbstzahlertum beherrschen. Ich füge dem hinzu: Aus den vorgenannten Gründen können das viele nicht.

Und über alledem hängt die traditionelle Prämisse, dass ja im Ernstfall schon jemand einspringen wird.

Das hat dann auch dazu geführt, dass häufig bei Selbständigen das Netto gefährlich nah am Brutto dran ist. Und damit auch die Wahl der Lebensqualität, die eine bestimmte Ausgabenstruktur mit sich bringt.

Diese Ausgabenstruktur sorgt für erhebliche Probleme, wenn Beiträge für die PKV steigen, oder aber Nachzahlungen an die GKV geleistet werden müssen, die man ja auch immer im Blick haben sollte, weil das System nun mal so ist, wie es ist. Und manchmal sorgt diese Struktur auch dafür, dass für die Absicherung für den Krankheitsfall überhaupt kein Raum da ist.

Wie viele Leute sind in Deutschland aktuell "nicht versichert"? Niemand kann das genau sagen. Die Zahl 137 000 bezieht sich auf das Jahr 2011 und stammt aus dem Mikrozensus. Das Besondere dabei ist, dass unklar ist, was genau in diesem Zusammenhang "nicht versichert" bedeutet. Als "nicht versichert" gelten all' diejenigen, die die Frage "Sind sie krankenversichert" verneint haben. Daraus kann man aber nicht ableiten, dass es sich bei all' diesen Personen um Menschen handelt, die sich entweder nach 2007 noch gar nicht bei einer Krankenkasse oder Krankenversicherung gemeldet haben, oder die irgendwann einmal aus einer Pflichtversicherung herausgefallen sind, und sich dann nicht wieder gemeldet haben. Tatsächlich ist es so, dass der Volksmund das Ruhen der Leistungen bei Beitragsrückständen ebenfalls als "nicht versichert" bezeichnet.

Daher ist unklar, wie viele Menschen vom Erlass der Beitragsschulden überhaupt profitieren könnten. Rein gefühlsmäßig würde ich sagen, dass wir hier eher von einigen Zehntausend sprechen, denn das sehr viel gängerige Szenarium scheint zu sein, dass Menschen, die sich gemeldet hatten, in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind, und deshalb das Ruhen der Leistungen festgestellt wurde. Das aber ist nur eine Vermutung, denn die Datenlage belegt weder das eine, noch das andere. Sie sagt noch nicht einmal, wie viele Leute, die sich als "nicht versichert" bezeichnen, es in diesem Jahr überhaupt gibt.

Ist die Aufklärung über das neue Gesetz unzureichender? Man hätte sicherlich eine gut verständliche Informationsseite im Netz positionieren können. Aber selbst ohne sind die Informationsmöglichkeiten meiner Ansicht nach völlig ausreichend. Wenn man bei Google Krankenkasse und Schulden in vielen verschiedenen Varianten eingibt, geht es schon in den ersten Treffern um das neue Gesetz. In vielen Medien wurde darüber berichtet. Und Schuldenberater, Sozialberatungsstellen, Jobcenter wissen ebenfalls Bescheid. Nur, wie in vielen anderen Bereichen gilt auch hier: Denjenigen, der sich gar nicht informiert, den kann man nur eigentlich nur dann erreichen, wenn man es ihm direkt an die Haustür nagelt.

Bleibt die Frage, warum die Rückmeldungen bisher so gering gewesen zu sein scheinen. Auch wenn es mich beruflich nur am Rande betrifft, sind mir unter denjenigen, die für den Erlass in Frage kommen, und ihn (noch) nicht in Anspruch genommen haben, bislang zwei Gruppen aufgefallen: Diejenigen, die die Meldung bis zur letzten Minute hinaus zögern. Und diejenigen, deren Begeisterung rapide abnimmt, wenn sie erfahren, was dann künftig so monatlich an Geld fällig wird.

In der ersten Gruppe gibt es dann jene, die einfach nur den Beginn der Beitragszahlungen so lange hinaus zögern wollen, wie es geht, und darauf hoffen, bis dahin nicht krank zu werden. Und jene, die zunächst einmal ihre Finanz- und Lebensplanung an die auf sie zukommenden Kosten anpassen, und dann Geld als Puffer für die kommenden Beitragszahlungen zurück legen. In der zweiten Gruppe befinden sich derweil jene, die die künftigen Beiträge in ihrer Planung nicht verortet haben, sie möglicherweise auch nicht verorten können, weil sie hohe nicht abwendbare Kosten bei einem zu geringen Einkommen, oder ein grundsätzlich zu geringes Einkommen haben, und nicht wissen, dass es in diesem Fall durchaus Möglichkeiten gibt, den zur Sicherung des Lebensunterhalts notwendigen Fehlbetrag durch Sozialleistungen auszugleichen.

Und hierin liegt meiner Ansicht nach das größte Manko: Das SGB V steht nicht für sich allein; es reicht nicht wenn die Krankenkasse gnädig sprich: "Et ego te absolvo a peccatis tuis".

Denn wenn der Betroffene nicht bald eine Epiphaneia des lex Socialis in seinen zwölf Gewändern erfährt, wird ihn die Krankenkasse bald wieder zum Ablass auffordern.

Poet
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Beitrag von Poet » 15.12.2013, 15:15

@der KVProfi & vlac: Das ist das Schöne an diesem Forum. Der eine schreibt (polarisierend) in weinigen Sätzen und der andere eine Abhandlung dazu wie sie in einer Dissertation stehen könnte. Respekt!!!

"Und ich kann nicht erkennen, dass es aktuell Ansätze gibt, dies den Leuten zu erklären."

Doch, die gab es zu hauf, lieber vlac. Doch die Rufer wie Rebscher usw. werden dann ad absurdum geführt, wenn die Politik die GKV selbst wie einen Umverteilbahnhof behandelt, den es gilt einerseits zu melken andererseits permanent auszutrocknen. Und dies nach Belieben. Es ist doch lang erprobtes Spiel, dass auf die Forderung der Kassen, der Zufluss drohe leerzulaufen die postwendende Info aus der Politik kommt, die Kassen haben sich wieder ein gehöriges Stück mehr aus der Pulle gegönnt. Dabei wird nicht gescheut, mit Vorstandsgehältern und Glaspalästen zu argumentieren.

Der Bürger steht bei alldem mittendrin. Die Solidargemeinschaft ist tot in einer Gesellschaft, die mehr individuell und weniger solidarisch sein möchte.

Insofern kann ich manchmal nur schmunzeln wenn denn erkannt wird, dass die Kassen sich mehr und mehr wie Wirtschaftsunternehmen verhalten.

Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 15.12.2013, 20:44

Hallo,
sicher, man vermisst schon auf den Seiten der GKV-Kassen Beiträge oder Hinweise zu der neuen Gesetzeslage ab dem 01.08.2013.Ich verstehe auch nicht, warum man sich nicht die Mühe macht und auf der jeweils ersten Seite zumindest einen allgemein verständlichen Hinweis gibt. Auf der anderen Seite - was soll das denn bringen - diejenigen, um die das jetzt noch geht, die informieren sich doch nicht direkt bei ihrer alten Kasse - die werden doch nur durch mehr oder weniger sanften Druck von Dritten (Nachbarn,Bekannten,Verwandten,Freunden usw) dazu veranlasst, sich bei ihrer alten Kasse zu melden - und natürlich durch Foren wie dieses, wenn sie es denn lesen.Natürlich würde es sich schon besser machen wenn die Kassen gemeinsam sich dieses Themas auch im Internet annehmen würden, aber wie gesagt, es wäre eben nur ein "netter Versuch" - meine Meinung.
Gruss
Czauderna

Helmes63
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NOTHILFE : Umfang - nachgehakt

Beitrag von Helmes63 » 06.01.2014, 16:13

Sind denn auch schwere Erkrankungen durch die NOTHILFE abgedeckt und wenn ja benötigt man hier nicht ein entsprechendes ATTEST durch das örtliche Gesundheitsamt ?

derKVProfi

Re: NOTHILFE : Umfang - nachgehakt

Beitrag von derKVProfi » 06.01.2014, 16:48

Helmes63 hat geschrieben:Sind denn auch schwere Erkrankungen durch die NOTHILFE abgedeckt und wenn ja benötigt man hier nicht ein entsprechendes ATTEST durch das örtliche Gesundheitsamt ?
Bitte noch einmal die gesamten Beiträge durchlesen.

Und bitte genau und exakt definieren, was Nothilfe ist! Wer bekommt auf der basis welchen Gesetzes wann NOTHILFE?

Nicht Versicherte sind Selbstzahler - können alles in Anspruch nehmen und müssen alles selbst zahlen!
Versicherte haben einen Anspruch gegen die Krankenkasse oder die PKV oder gegen andere Träger (z. B. KVB, PBeaKK, Priester-Vereine, Staat, Heilfürsorge, Bundeswehr, Sozialamt, Asyl-Behörde, etc.) !

Helmes63
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Umfang des medizinischen Notfall-Angebotes

Beitrag von Helmes63 » 25.05.2016, 08:57

a) Die Notfallversorgung wurde hier teilweise intensiv und sachgerecht thematisiert. Was vielleicht noch unklar ist : dieses spezielle medizinische Angebot wird m. Wissens aber doch nicht von allen praktizierenden Ärzten getragen.

Dazu bedarf es doch sicherlich auch einer entsprechenden Vereinbarung zw. Kassenträger und Allgemeinmediziner, weil dieses Angebot logischer Weise nur sehr eingeschränkt besteht und genutzt werden kann.

b) Von den nach wie vor über 100.000 Betroffenen ist sicherlich nicht jeder fit in Sachen Internet. Viele haben lange Zeit keine Zeitung mehr gelesen und werden erst durch einen Hinweis von Bekannten hellhörig.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich m. E. auch die doch recht dürftige Resonanz bezgl. des sog. Beitragsschuldengesetzes ...

vlac
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Beitrag von vlac » 25.05.2016, 16:55

Hallo,

nein, die Möglichkeit, sich behandeln zu lassen, wenn der Leistungsanspruch bei der gesetzlichen Krankenkasse ruht, besteht grundsätzlich bei allen an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten. Ich habe auch bislang nicht gehört, dass es dabei zu Problemen kommt. Allerdings ist eben eine Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen im Fall des Ruhens der Leistungen nur in bestimmten, genau fest gelegten Fällen möglich: nämlich in Notfällen, und bei akuten Schmerzzuständen. Vor allem über das Wort "Notfall" kommt es immer wieder zu Unstimmigkeiten: Im Sinne des Gesetzes ist ein Notfall eine Situation, die potentiell lebensbedrohlich ist, mit meinen eigenen Worten und eher grob zusammen gefasst. Im Sinne der öffentlichen Wahrnehmung ist der Begriff "Notfall" allerdings sehr viel weiter ausgelegt: Man hält sehr oft alles für einen Notfall, was im Entferntesten Probleme verursacht. Beim Ruhen des Leistungsanspruchs ist aber eine Behandlung bei Beschwerden, die keine akuten Schmerzen verursachen, und / oder akut bedrohlich wirken, nicht umfasst.

Und dann haben wir hier auch wieder die berühmte Zahl 100 000: Hier muss man, einmal mehr, fest halten, dass sich diese Zahl ausschließlich auf Personen bezog, die beim Mikrozensus für das Jahr 2011 angegeben hatten, sie seien "nicht versichert". In der öffentlichen Wahrnehmung wird auch das Ruhen des Leistungsanspruches als "nicht versichert" bezeichnet. In dieser Zahl sind also sowohl jene Menschen enthalten, die irgendwann fällige Beiträge nicht gezahlt hatten, und bei denen deshalb das Ruhen der Leistungen fest gestellt wurde, als auch jene Menschen, die sich nach der Einführung der allgemeinen Versicherungspflicht entweder gar nicht bei der für sie zuständigen Krankenkasse gemeldet hatten, oder die sich nach dem Ende einer Pflichtversicherung nicht wieder bei der Krankenkasse gemeldet hatten.

Die genau Größe dieser beiden Untergruppen wurde damals nicht erhoben, und dementsprechend war und ist auch nicht bekannt, wie groß die Zielgruppe des Beitragsschuldenerlasses war.

Denn die Gesetzgebung bezog sich ausschließlich auf die Untergruppe der "Nicht-Melder", nicht die der "Nicht-Zahler".

Man muss dazu aber auch festhalten, dass die Bundesregierung damals wenig dazu beigetragen hat, die tatsächlichen Zahlen aufzuklären: Gerne hatte man auch dort undifferenziert mit der Zahl aus dem Mikrozensus jongliert, vermutlich um die Bedeutung des Gesetzes aufzublähen.

Wie viele "Nicht-Melder" es damals tatsächlich gab, ist bis his heute ungeklärt: Es gilt als wahrscheinlich, dass die Gesamtzahl der Personen, die über längere Zeiträume hinweg überhaupt nicht bei der Krankenkasse gemeldet waren, eher gering war, denn in aller Regel kommt man irgendwann mit der Thematik Krankenkasse in Berührung - sei es, weil man krank wird, oder weil man Sozialleistungen beantragen muss, oder weil eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen wird, oder auch nur weil Nachwuchs kommt.

Die geringe Resonanz erklärt sich also ausschließlich dadurch, dass die Gesetzgebung von vorne herein nur auf eine kleine Personengruppe zutraf.

Wie viele "Nicht-Melder" nach dem Ende des Beitragsschuldenerlasses übrig blieben, weiß dementsprechend auch niemand. Sicher ist, dass der Gesetzgeber Vorkehrungen dafür getroffen hat, dass keine neuen "Nicht-Melder" entstehen können. Diejenigen, die sich heute als "nicht versichert" bezeichnen, dürften vor allem Personen sein, die Beiträge nicht gezahlt haben.

Helmes63
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Motivlage des Beitragsschuldengesetzes

Beitrag von Helmes63 » 31.05.2016, 16:48

Das ca. 130.000 Nichtversicherte nicht die Mehrheitsgesellschaft abbilden ist klar. Nominal handelt es sich somit um eine Randgruppe. Allerdings bin ich fest davon überzeugt, dass im Prinzip die freiwilligen GKV-Mitglieder welche Überschuldet sich dazu gerechnet werden müssen.

Das war m. E. auch ein Hauptmotiv im Hinblick auf die Einführung des Gesetzes zur Beseitigung von Überforderung in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Eine modifizierte Neufassung des betreffenden Erlasses ist m. E. für das Jahr 2017 durchaus dringend geboten !!!

Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 31.05.2016, 19:11

Hallo,
und wie soll das Aussehen, deiner Meinung nach ?
Gruß
Czauderna

vlac
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Beitrag von vlac » 09.06.2016, 21:05

Hallo,

nein, auch wenn es hart klingen mag, aber ein allgemeiner Schuldenerlass auch für Nicht-Zahler ist meiner Ansicht nach nicht nur nicht erforderlich, sondern auch unfair gegenüber allen anderen Beitragszahlern.

Für diejenigen, die objektiv überschuldet sind, also insgesamt so hohe Schulden haben, dass sie diese auf absehbare Zeit nicht werden abbezahlen können, gibt es bereits seit Jahren ein mehr oder weniger bewährtes Instrument, nämlich die Privatinsolvenz, die auch in solchen Fällen oft und gerne genutzt wird.

Darüber hinaus gibt es in den unteren Einkommensstufen auch Unterstützungsmöglichkeiten nach dem SGB II, die dabei helfen, die Beitragsbelastungen zu senken, oder die Zahlung der Beiträge ganz in die Hände Dritter legen.

Der klassische Fall eines Nicht-Zahlers (im Gegensatz zum Nicht-Melder, also jemandem, der irgendwann aus der Krankenkasse "heraus gefallen" ist) ist sicherlich ein Selbständiger, der mit den Beitragszahlungen in Verzug geraten ist. Hinzu kommen Obdachlose, die mal ALG II-Leistungen erhalten, mal nicht, und denen dann für die entstandenen Lücken Beiträge berechnet werden. Möglich sind auch familiäre Konstellationen, in denen sich beide Partner jeweils selbst versichern müssen, aber nur ein Einkommen erwirtschaftet wird. Ab und zu melden sich in Foren wie diesem auch Personen, die sagen, sie hätte Jahre lang von Ersparnissen gelebt, und sich entweder gar nicht bei der Krankenkasse gemeldet (Nicht-Melder), oder aufgehört, die Beiträge zur freiwilligen Versicherung zu zahlen (Nicht-Zahler).

Ich beginne mal beim klassischen Fall, den Selbständigen: Die Beiträge sind hier mehr oder weniger einkommensabhängig, wobei die Beitragsberechnung oft zeitversetzt passiert. Dies führt dazu, dass in guten Jahren möglicherweise niedrige Beiträge und in schlechten Jahren hohe Beiträge gezahlt werden müssen. Jeder, der den Weg in die Selbständigkeit geht, muss damit rechnen, dass dies passiert, dafür Vorsorge treffen und rechtzeitig die notwendigen Schritte gehen, wenn das Geschäft nicht mehr läuft. Jeder kann sich leicht ausrechnen, was er in einem guten Jahr mit niedrigen Beiträgen gespart hat, und sich dementsprechend darauf einstellen, dass die Krankenkasse den entsprechenden Einkommensteuerbescheid wird sehen wollen, und die Beiträge dementsprechend festsetzen wird.

Würde man hingehen, und Nicht-Zahlern die Außenstände einfach erlassen, würde man damit zunächst einmal Selbständige besser stellen, als Arbeitnehmer. Man würde aber auch schlechte Planung, mieses Wirtschaften und nicht tragfähige Geschäftskonzepte belohnen.

Vor allem aber ist es so: Die Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung sind bis auf wenige Ausnahmen vom Einkommen abhängig. In manchen Fällen, nämlich bei Selbständigen, gibt es dabei Verschiebungen, doch letzten Endes läuft, bis auf einige Sonderfälle, darauf hinaus, dass auch hier von jedem verdienten Euro im Großen und Ganzen 14,6 Cent plus, x Cent an die Krankenkasse abzuführen sind.

In den unteren Einkommensschichten gibt es dabei auch Unterstützungsmöglichkeiten nach dem SGB II. Hinzu kommen die steuerlichen Möglichkeiten, das Einkommen zu senken, die sich dann auf die Höhe der Beiträge auswirken.

Es kann nicht die Aufgabe der Krankenkassen sein, darüber hinaus einer bestimmten Personengruppe geldwerte Vorteile zu gewähren. Welches Signal wäre es, wenn man sagen würde, dass man all' jenen, die eine bestimmte Zeit lang keine Beiträge gezahlt haben, diese Beiträge einfach erlässt? Der Angestellte zahlt seine Beiträge; er hat gar keine andere Wahl. Der Selbständige mit dem gleichen Bruttoeinkommen, kann so einfach sein Netto steigern, indem er die Beiträge nicht zahlt - und dementsprechend auch ein im Vergleich besseres Leben führen als der Angestellte.

Schon jetzt ist eine Situation entstanden, in der es Anzeichen dafür gibt, dass viele Nicht-Melder die Regelung, dass bei verspäteter Meldung für die vergangenen Jahre nur sehr geringe Beiträge nachzuzahlen sind, wenn keine Leistungen in Anspruch genommen wurden, so verstehen, dass Ihnen ein ernsthafter geldwerter Vorteil entsteht, wenn sie sich erst dann bei der Krankenkasse melden, wenn es gar nicht mehr anders geht. Auch dies erklärt die geringe Zahl der Personen, die sich bei den Krankenkassen innerhalb der Frist des Schuldenerlasses gemeldet haben: So mancher hat fest gestellt, dass es ein sehr viel besserer Deal zu sein scheint, wenn man sich erstmal gar nicht meldet. Es ist sicherlich zu erwarten, dass sich plötzlich eine recht große Zahl an Leuten an die Krankenkasse erinnern würden, wenn man diese Regelung für die Zukunft wieder abschaffen würde.

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