Können Sozialgerichte über Krankengeld entscheiden?

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Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 29.10.2017, 09:47

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Wie wichtig mehr rechtliche Orientierung für die Krankenkassen wäre,
zeigt dieses Beispiel einer Krankenkasse, die sich besonders doof anstellte.
Obwohl sie vom Sozialgericht bereits eines Besseren belehrt war, beharrte
sie auf einer "Lücke" zwischen der Entlassung aus der Reha am 17.09.2012
und dem Arztbesuch am 04.10.2012.

Ihre Berufung ging allerdings "voll in die Hose":
Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 15.09.2017, L 4 KR 2475/15
https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/es ... sensitive=

Interessant ist auch der zeitliche Ablauf: 5 Jahre! Allerdings wird die Nach-
zahlung mit 4 % verzinst: https://dejure.org/gesetze/SGB_I/44.html
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Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 30.10.2017, 12:35

Hallo Guenter,

hierzu:
http://www.krankenkassenforum.de/knnen- ... hles#85885

ein neuer Gesichtspunkt:
http://www.zeit.de/politik/deutschland/ ... d-15961967

Wäre es nicht "der Knaller", wenn du es der „unverhältnismäßigen gesetzlichen Krankengeld-Falle“
zu verdanken hättest, dass du nach 48 Jahren mit 63 ohne Abzüge in Rente gehen konntest.

Schöne Feiertage!
Anton

P.S.: Könnte in einen evtl. GROKO-Deal auch die Sozialgerichtsbarkeit einbezogen gewesen sein?
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Anton Butz
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Bürgerbeauftragte für Schleswig-Holstein, Frau El Samadoni

Beitrag von Anton Butz » 31.10.2017, 09:29

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Zu den 8 Beiträgen ab hier
http://www.krankenkassenforum.de/gesetz ... ght=#86047
gibt es diesen E-Mail-Wechsel:

Bild
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Anton Butz
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BSG Krankengeld-"Recht"sprechung

Beitrag von Anton Butz » 09.11.2017, 12:48

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Zur Frage, ob Sozialgerichte über Krankengeld entscheiden können, hier mal (m)eine Zwischenbilanz, speziell das BSG und dessen Urteil vom 11.05.2017, B 3 KR 22/15 R, betreffend: https://dejure.org/dienste/vernetzung/r ... 022/15%20R
Das war das erste Krankengeld-Urteil des seit 01.01.2015 dafür zuständigen 3. BSG-Senates. Und erstmals seit vielen Jahren stimmt in solchen Fällen endlich wieder mal zumindest das Ergebnis.

Bis das vom 1. BSG-Senat in den Jahren bis 2014 angerichtete rechtliche Krankengeld-Chaos aufgearbeitet ist, wird es jedoch noch lange dauern. Auch der 3. BSG-Senat hat bei seiner Entscheidung zu § 46 SGB V i. d. F. bis 22.07.2015 dessen (Singular-) Wortlaut sowie den rechtlich zwingenden Zusammenhang mit nur einem Karenztag (nicht: Karenztagen zu jeder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) insgesamt unberücksichtigt gelassen.

Deswegen ist weiterhin nicht nachvollziehbar, weshalb das BSG für ein und dieselbe ununterbrochene Arbeitsunfähigkeit von mehreren Arbeitsunfähigkeiten ausgeht, die an mehreren Tagen mehrerer überschneidender ärztlicher Feststellungen bedürfen und mehrere Ansprüche auf Krankengeld entstehen lassen.

Diese Bewertung wird dem Schutzbedürfnis der Versicherten in der sozialen Krankenversicherung, wie es auch in § 2 Abs 2 SGB I explizit hervorgehoben wird, jedenfalls nicht gerecht. Danach ist bei der Auslegung der Vorschriften des SGB sicherzustellen, dass die sozialen Rechte (hier: insbesondere dasjenige auf wirtschaftliche Sicherung bei Krankheit nach § 4 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB I) „möglichst weitgehend“ verwirklicht werden.

Im Übrigen dürfen nach dem Gesetzesvorbehalt des § 31 SGB I Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt.

Nach diesen rechtlichen Maßstäben erscheint die unkritische Bezugnahme des 3. BSG-Senats auf sog. „Recht“sprechung des 1. BSG-Senats zumindest leichtfertig, beliebig, zumal insbesondere die Sozialgerichte Speyer und Mainz sowie der 16. Senat des Landessozialgerichts Essen die Rechtslage längst verdeutlicht haben.

So dreht sich der Streit weiterhin im Kreis. Inzwischen steht § 47b SGB V im Fokus. Nach dessen Abs. 1 Satz 2 wird das Krankengeld „vom ersten Tage der Arbeitsunfähigkeit an gewährt“. Die Vorschrift korrespondiert mit § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V n. F. ab 23.07.2015, wonach der Anspruch auf Krankengeld „im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an“ entsteht. Wie beides gemeint und nach den Grundsätzen der Sozialgesetzbücher zu verstehen ist, drängt sich normalem Menschenverstand geradezu auf – bisher allerdings nicht der Sozialgerichtsbarkeit.

Doch auch in diesem Zusammenhang ist erste Hoffnung auf den 3. BSG-Senat gerechtfertigt. Wie in den beiden am 11.05.2017 zugunsten der Kläger erledigten Fällen hat der 3. BSG-Senat auch gegen das Urteil des LSG Mecklenburg-Vorpommern, Neustrelitz, L 6 KR 90/15, mit Beschluss vom 28.09.2017, B 3 KR 26/17 B, (ohne Begründung) der Nichtzulassungsbeschwerde abgeholfen und die Revision zugelassen – B 3 KR 22/17 R.

Als Rechtsfrage wurde formuliert: „Regelt § 47b Abs 1 S 2 SGB 5 für Versicherte nach § 5 Abs 1 Nr 2 SGB 5 (Bezieher von Arbeitslosen- oder Unterhaltsgeld nach dem SGB 3) den Beginn des Krankengeldanspruchs für jeden Bewilligungsabschnitt, sodass sich auch der ununterbrochene Bezug des Krankengeldes für diesen Personenkreis aus dieser Vorschrift (und nicht aus § 46 S 1 SGB 5) ergibt?“

Wir dürfen gespannt sein, so in zwei Jahren sollten wir näheres erfahren …

Doch einstweilen produziert die unverhältnismäßige Krankengeld-Falle zuverlässig weitere Opfer. Dabei übergeht die Ignoranz der Krankenkassen und der Sozialgerichtsbarkeit auch diese Hinweise darauf, dass die Sozialrechts-Guillotine durch § 46 Satz 2 SGB V seit 23.07.2015 abgeschafft sein könnte:

„Am 21.05.2015 wurde das neue Formular Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab 2016 freigegeben. Darin setzt der Arzt ein Kreuz bei „Endbescheinigung“, wenn bereits beim Ausstellen der Bescheinigung feststeht, dass die Arbeitsunfähigkeit an dem angegebenen Tag endet.

Nach § 46 Satz 2 SGB V in der Fassung ab 23.07.2015 bleibt der Anspruch auf Krankengeld jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage.

Der Zusammenhang zwischen „Endbescheinigung“ und dem „bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit“ ist offenkundig. Daraus ergibt sich, dass § 46 Satz 2 SGB V nur Anwendung finden kann, wenn per „Endbescheinigung“ der „letzte Tag der Arbeitsunfähigkeit“ angegeben ist, nicht aber bei „voraussichtlich arbeitsunfähig bis einschließlich“-Bescheinigungen.“

Das bedeutet, dass der Krankengeldanspruch nur nach einer Endbescheinigung verfallen kann.

Im Übrigen käme der bisher ungeklärten Frage der Krankengeld-Bewilligung per Verwaltungsakt mit Dauerwirkung entscheidende Bedeutung bei. Auch darüber gehen die Gerichte bisher zumindest leichtfertig hinweg. Doch im ebenfalls anhängigen Revisionsverfahren B 3 KR 14/17 R gegen das Urteil des Landessozialgerichts Mainz vom 20.04.2017, L 5 KR 175/16, wird es wegen der stichhaltigen Formulierung im Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 11.01.2016, S 3 KR 338/14, wohl darauf ankommen.

„Schlampereien und mehr“ von Organen der Rechtspflege dürfen nicht länger zu Lasten der Krankenversicherten gehen!

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Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 10.11.2017, 12:23

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Dr. Ulrich Hambüchen: Quo vadis, 1. Senat des BSG?

Grobe Rechtsanwendungsfehler, Missachtung des Gesetzgebers, Verfassungsverstöße
https://www.daskrankenhaus.de/de/community/politik-67
https://www.medcontroller.de/2017/11/10/abrechnung_bsg/

Ging die Krankengeld-„Recht“sprechung des 1. BSG-Senats bis 31.12.2014 mit rechten Dingen zu?
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Anton Butz
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Quo vadis, 1. Senat des BSG?

Beitrag von Anton Butz » 11.11.2017, 21:40

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Stellungnahme aus dem Blickwinkel der Versicherten
zur sog. Krankengeld-"Recht"sprechung des 1. BSG-Senats

Bild
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broemmel
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Beitrag von broemmel » 12.11.2017, 00:08

Jaja....

Der Karneval ist da....

Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 12.11.2017, 14:29

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Aha, broemmel hat mal wieder bis zur dritten Zeile gelesen und sich dann mit dem Reflex eines Krankengeld-Experten
an das legendäre BSG-Fachingsdienstag-Sonntag-Montag-Urteil der Herrn Masuch, Coseriu, Dr. Estelmann, Bungart, Schwill
vom 04.03.2014, B 1 KR 17/13 R erinnert: https://www.jurion.de/urteile/bsg/2014- ... r-17_13-r/

Ja, diese unglaubliche Kompetenz ist hier unverzichtbar aber auch allgegenwärtig!

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Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 13.11.2017, 10:52

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Schlag auf Schlag ...

Hier der nächste konkrete Fall zur Frage, ob Sozialgerichte
über Krankengeld entscheiden können:

Beschluss des

L A N D E S S O Z I A L G E R I C H T S
M E C K L E N B U R G - V O R P O M M E R N
N E U S T R E L I T Z

vom 09.03.2017 - L 6 KR 90/15

http://www.krankenkassenforum.de/kranke ... t9866.html
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Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 14.11.2017, 10:49

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Das Ergebnis vorweg:

Das

L A N D E S S O Z I A L G E R I C H T S
M E C K L E N B U R G - V O R P O M M E R N
N E U S T R E L I T Z


konnte es ebenfalls nicht.
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Anton Butz
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Ist die Krankengeld-Falle längst passé?

Beitrag von Anton Butz » 16.11.2017, 23:06

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Die Krankengeld-Falle ist nach wie vor wirksam.
Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland,
UPD sprach sich mit Pressemitteilung vom 14.11.
2017 dagegen aus und sieht "Jamaika" gefordert:
https://www.patientenberatung.de/de/pre ... rt-2272467

Aber gibt es die Krankengeld-Falle überhaupt
noch?


Bild

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Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 17.11.2017, 19:01

Hallo Anton,
irre ich mich, oder hat du gerade dem Forum kundgetan dass du Diplom-Verwaltungswirt warst bzw. bist ?.
Ich habe mal bei Wikipedia nachgesehen, dort steht, dass dieser Titel in der Regel ausschließlich von "Laufbahnbeamten" geführt würde - interessant, aber das nur nebenbei.
Du führst in diesem Text das Verfassungsrecht an - was meinst, wer könnte denn zu diesem, deinem Problem das Verfassungsgericht anrufen - du selbst sicher nicht, denn wenn das möglich wäre, hättest du das doch schon lange gemacht, oder ?.
Gruss
Guenter

Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 18.11.2017, 08:43

Moin Guenter,

danke für das Interesse – aber nein:
die Botschaft ist eine andere, für vorrangig andere Adressaten.

Der Text passt hier zusätzlich – hauptsächlich zur Dokumentation.
Und der Schluss zielt nicht auf die Zuständigkeit des BVerfG ab.
Vermutlich gibt es noch keinen Fall, bei dem die Voraus-
setzungen des § 90 BVerfGG vorliegen:
https://dejure.org/gesetze/BVerfGG/90.html

Oder hast du irgendeinen Ansatz für eine "Erschöpfung des
Rechtswegs“ oder für die „allgemeine Bedeutung“? Wohl kaum, wenn
der dargestellte rechtliche Standpunkt von Prozessvertretern abgelehnt
und in Verfahren allenfalls eingebracht wird, wenn der Mandant ent-
gegen Hinweisen auf die für ihn eher ungünstige Rechtsprechung
die Sache dann (ggf. mit Prozesskostenhilfe oder Rechtsschutz-
versicherung) trotzdem durchfechten will.

Dafür gibt es mehrere Beispiele. Hier das öffentlich dokumentierte:
https://www.frag-einen-anwalt.de/Kranke ... 04542.html

Allerdings ist nun – von hoffentlich kompetenter Stelle! – zugesagt:
„Gerne prüfe ich Ihr Anliegen und melde mich sodann.“
Wir bleiben dran.

Schönen Gruß!
Anton


P.S.:
Das aktuelle Zitat:
„Unser Rechtsstaat kann funktionieren. Aber man muss ihn unerbittlich –
mühevoll und unter größtem Aufwand – drängen. Dafür braucht es endlich
mehr als öffentliche Aufmerksamkeit“

https://www.cicero.de/index.php/tod-our ... izeigewalt
Ergänzung:
Das gilt auch zum Krankengeld!
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Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 18.11.2017, 22:23

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Wie lange wirkt die Krankengeld-Falle noch?


E-Mails an das BSG und
an das Sozialgericht Koblenz:

Bild

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Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 20.11.2017, 11:49

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Die vorhergehenden Beiträge machen deutlich,
wie sozialrechtlich fragwürdig die Krankengeld-Falle
jedenfalls seit 23.07.2015 erscheint.

Damit gehen auch Fragen zur strafrechtlichen Rele-
vanz einher:

Krankengeld-Falle:
Bescheinigtes Ende/Endbescheinigung
Rechtsbeugung?


https://www.frag-einen-anwalt.de/Kranke ... 04914.html
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