Können Sozialgerichte über Krankengeld entscheiden?

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Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 12.10.2016, 23:05

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Krankengeld - Strafanzeige wegen Rechtsbeugung

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitges ... id-9428762

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Anton Butz
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Rechtsbeugungs-Frage / Strafanzeige

Beitrag von Anton Butz » 14.10.2016, 19:12

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Prof. Dr. Thomas Fischer, Deutschlands bekanntester Strafrichter und Serien-Kolumnist bei ZEIT ONLINE, hat die Meinung verbreitet, dass es kein Rechtsbeugungsprivileg für Kollegialgerichte gibt, die Aufklärung von Verbrechen – Rechtsbeugung – nicht am Beratungsgeheimnis scheitern kann.

Zu der ihm mehrfach präsentierten Frage, ob die Krankengeld-„Recht“sprechung der deutschen Sozialgerichtsbarkeit Rechtsbeugung darstellt, wich er inzwischen allerdings auf „Die Macht der Beleidigten“ von JENS JESSEN im ZEIT-Feuilleton aus. Zuvor hatte er schon formuliert:
„Nein, ich habe mich nicht mit der Krankengeld-Problematik befasst, und ich werde dies auch, wenn nichts Fundamentales dazwischenkommt, nicht mehr tun.“
Da Fischer – wie allen Kommentatoren zu seiner Kolumne – die Krankengeld-Problematik offenbar zu heiß ist, wird wohl auch der vorläufige Schluss-Strich in Sachen Böhmermann keine Änderung der allgemein ablehnenden Haltung bewirken.

Statt des Hinweises auf ZEIT ONLINE mit den dort verbreiteten Kommentaren empfiehlt sich wohl, das Thema hier zu konzentrieren:
http://www.sozial-krankenkassen-gesundh ... #post22669

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Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 17.10.2016, 11:05

Der größte Sumpf Deutschlands, die GKV?

http://www.faz.net/aktuell/finanzen/ska ... ageIndex_2

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Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 17.10.2016, 12:27

Hallo,
könnte man so sehen, aber dieser Artikel, den du verlinkt hast, sagt es klipp und klar aus - es ist in erster Linie eine falsche Politik, die da betrieben wird.
Insofern kann ich das Vorpreschen des TK-Chefs sogar in gewisser Weise verstehen - man bekennt sich schuldig, will aus der Szene aussteigen, bzw. diesen Missstand mit Gewalt beenden - das ist zwar riskant, was die eigene Position angeht, aber vielleicht doch ein wichtiger Schritt hin zum Umdenken und Handeln - vor allen Dingen auf Seiten der Politik, denn man darf eines nicht vergessen - GKV-Kassen haben Behördenstatus und sind von der Politik abhängig.
Gruss
Czauderna

Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 17.10.2016, 13:48

Ja, alles sehr löblich!

Jens Baas, der neue National-Held, auch der

MDK, der jenseits der Medaille ebenfalls auf Veranlassung der
Krankenkassen Über-Codierungen per Ferndiagnosen wieder in
Spontanheilungen umwandelt.
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Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 17.10.2016, 15:07

Anton Butz hat geschrieben:Ja, alles sehr löblich!

Jens Baas, der neue National-Held, auch der

MDK, der jenseits der Medaille ebenfalls auf Veranlassung der
Krankenkassen Über-Codierungen per Ferndiagnosen wieder in
Spontanheilungen umwandelt.
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Hallo Anton,
das habe damit nicht sagen wollen - Betrug bleibt Betrug - egal wer ihn vornimmt und will damit keinesfalls die Kassen als Opfer hinstellen.
Für mich war das eine stillschweigendes gegenseitige Duldung.
was der MDK damit zu tun hatte, erschließt sich mir da nicht.
Gruss
Czauderna

Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 18.10.2016, 09:49

Ja Czauderna,

mit Ersterem liegst du sicher richtig: Betrug bleibt Betrug – und in aller
Regel sind nicht die Betrüger die Opfer.

Aber deine „stillschweigende gegenseitige Duldung“ passt nicht zum Wett-
bewerb, wie ihn Jens Baas darstellte:
Es ist ein Wettbewerb zwischen den Kassen darüber entstanden, wer
es schafft, die Ärzte dazu zu bringen, für die Patienten möglichst viele
Diagnosen zu dokumentieren.
Dazu eine Verständnisfrage:
Haben die Kassen ihre Drückerkolonnen wahllos zu den Ärzten geschickt
oder den Markt unter sich aufgeteilt?

P. S.: zu MDK – nicht so wichtig, Hauptsache Balance.
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Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 18.10.2016, 10:12

Hallo Anton,
Ob es da Absprachen gab, das weiß ich nicht. Was ich weiß von Ärzten, dass es zeitnah diverse Anfragen von Kassen gab, die in die Praxen kommen wollten um über das "Hilfsangebot" zu reden. Das lässt due Vermutung zu, dass es dann doch keine "Gebietsaufteilungen" gab.
Gruß
Czauderna

Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 19.10.2016, 07:39

Moin Czauderna,

wenn es bei Ärzten zeitnah diverse Anfragen von Kassen gab, die in die Praxen kommen
wollten um über das "Hilfsangebot" zu reden, scheint da ein Impuls ausschlaggebend ge-
wesen zu sein – ähnlich wie damals für den Serien-Einsatz der BSG-Krankengeld-Falle und
die für ihre Wirksamkeit erforderliche allgemeine Missachtung von SGB X-Grundsätzen,
jeweils auch durch die Sozialgerichtsbarkeit.

Hier wieder ein Urteil des SG Speyer vom 11.07.2016, S 19 KR 599/14, mit dem Titel

Bewilligung von Krankengeld als (konkludenter) Dauerverwaltungsakt
- Unzulässigkeit einer befristeten Bewilligung -

http://www3.mjv.rlp.de/rechtspr/Display ... 82AABAD587}

Was meinst du, sind Jens Baas und die Vorsitzenden der 19. Kammer des Sozialgerichts
Speyer sowie der 3. Kammer des Sozialgerichts Mainz eher "Nestbeschmutzer“ oder
„Banner-Träger des sozialen Rechtsstaats“?

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Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 19.10.2016, 11:06

Hallo Anton,
Nein, denke ich nicht, allerdings sehe ich auch keinen Zusammenhang.
Um aber auf dein Lieblingsthema zu kommen - das Urteil aus Speyer, ist das rechtskräftig oder konnte die Beklagte noch in die Revision gehen ?
Gruß
Czauderna

Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 19.10.2016, 14:11

Hallo Czauderna,

was denkst du "nicht" und womit siehst du keinen Zusammenhang?

Gute Frage, die sich auch für ein halbes Dutzend ähnlicher Entscheidungen
stellt, zu der ich aber keine Antwort habe, außer: "nicht Revision, sondern
zunächst Berufung". Wer mehr wissen will: SG und LSG beantworten das.

Gegenfrage: Wie hätte das SG Speyer wohl entschieden, wenn der Klagean-
trag nicht auf die Zeit bis 23.07.2015 beschränkt gewesen wäre?

Das ist und bleibt spannend!

Schönen Gruß
Anton

Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 19.10.2016, 15:12

[quote="Anton Butz"]Hallo Czauderna,

was denkst du "nicht" und womit siehst du keinen Zusammenhang?

Hallo Anton,
na ja, ob der TK-Boss jetzt ein "Nestbeschmutzer" ist - das glaube ich nicht - ich vermute, dass es hier auch eine Übereinstimmung gab, wer denn damit an die Öffentlichkeit gehen sollte - da war der Chef vom Marktführer als "Sünder" wohl die taktisch bessere Lösung als z.B. der von der Nr. 2 oder 3 oder einer von einer kleinen Kasse - ist eben so wie in der Politik auch.
Was den Zusammenhang angeht - ich sehe keinen Zusammenhang zwischen
dem was die Kassen in puncto Kodierung gemacht haben und der unterschiedlichen Rechtsauffassung eines SG. Speyer und dem BSG in Sachen Krankengeldanspruch.
Gruss
Czauderna

Joebo
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Beitrag von Joebo » 19.10.2016, 17:25

@Anton: es gibt keine Absprachen welche Kasse welche Ärzte anspricht. Viele Kassen tauchen bei den selben Ärzten auf.

@Czauderna: Baas hat sich nicht als Sündenbock "geopfert". Vielmehr hat er einfach den größten Nutzen, wenn nicht mehr upkodiert wird. Ich kenne das Verfahren aus den Arztpraxen und finde es schlimm, wie es in den Medien dargestellt wird. Als ob die Kassen die Ärzte nötigen würde bzw. unter Druck setzen würde. So viel macht haben die Kassen nicht, zumal die niedergelassenen Ärzte nicht den Kasssen unterstellt sind.

In der Praxis kann man sich das so vorstellen: Die Kassen fahren Auswertungen und vergleichen z.B. Diagnosedaten mit verschriebenen Medikamenten. Wenn hier Unstimmigkeiten ausgespuckt werden (nehmen wir mal das Beispiel von Baas) wegen einer depressiven Stimmung werden starke Antidepressiva verordnet, spuckt der Computer diesen Versicherten aus und die Kasse gibt die Liste an die Ärzte. Der Arzt soll/kann anhand dieser Liste prüfen, ob hier ggf. nachgeschlüsselt werden sollte (Arzt hat falsche Diagnose eingegeben). Noch einfacher: Es werden Blutzuckerteststreifen verordnet (gibt es nur für insulinpflichtige Diabetiker), aber die Diagnose Diabetes wird nicht codiert. Logisch, dass die Kassen den Arzt ansprechen. Es gibt keine einheitlichen Kodierrichtlinien, wofür sich die Kassen mit den morbiden Versicherten seit Jahren einsetzen. Komischerweise war die TK nicht mit an Board. Diese hat gar kein Interesse, dass sauber kodiert wird.

Leider sind die Versicherten von Baas vergleichsweise gesund, sodass er nicht soviel upcodieren lassen kann. Ergo erhält er weniger aus dem Morbi-RSA. Die TK hat zur Zeit finanzielle Schwierigkeiten und fährt ihre Satzungsleistungen massiv zurück. Mit diesem letzten Schritt versucht die TK einen Skandal zu schaffen um die Politiker dazu zu bringen, den Morbi-RSA zu schwächen. Warum nur? Mehr Kohle für die TK.

Die TK sagt, es solle lieber an Verwaltungskosten gespart werden (siehe auch Interview von Baas). Die Verwaltungskosten sind eh schon gedeckelt. Die TK weiß dass die KK mit den vergleichsweise morbiden Kunden auf Ortsnähe setzen (wenn auch leicht rückgängig). Verwaltungskosten =Personalkosten. Ergo will die TK die Geschftsstellendichte vieler Kassen aufbrechen, damit die TK auch hier konkurrenzfähiger wird. Der vdek und der AOK Bundesverband kritisieren Bass wegen diesen Äußerungen aufs Schärfste, weil es einfach nicht stimmt. Er ist kein Samariter oder hat ein schlechtes Gewissen wegen den "Machenschaften der Krankenkassen". Er hat einfach taktisch gehandelt um wettbewerbsfähig zu bleiben, weil er keine andere Möglichleit mehr sieht. Ich rede nicht gerne schlecht von anderen Kassen -ist einfach nicht mein Stil- aber wer hinter die Kulissen schaut, wird schnell sehen, dass Baas abgebrüht ist und versucht Unruhe in das System zu bringen. An sich nicht schlecht vieles mal zu hinterfragen, aber bewusst Betrügereien zu unterstellen - was er nie direkt macht, man beachte seine Wortwahl- ist das Letzte. Ihr werdet sehen, dass hier keine Betrügereien aufgedeckt werden können, einfach weil es keine gibt.

Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 20.10.2016, 11:05

Hallo Czauderna,

allein steht TK-Chef Jens Baas nicht; gestern hat sich der SBK-Chef Hans Unterhuber an seine Seite
gestellt
http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-10/k ... abrechnung

Die Diskussion geht weiter …

Was den direkten Zusammenhang angeht, hast du sicher recht. Für mich unterscheidet sich dieser
Auswuchs des GKV-Systems aber nicht wesentlich vom Krankengeld-Skandal (BSG-Krankengeld-Falle
und illegaler Selbstvollzug des Krankengeld-Rechts).

@Joebo, "Viele Kassen tauchen bei den selben Ärzten auf" - Wahnsinn!

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Joebo
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Beitrag von Joebo » 20.10.2016, 13:12

Anton Butz hat geschrieben:Hallo Czauderna,

allein steht TK-Chef Jens Baas nicht; gestern hat sich der SBK-Chef Hans Unterhuber an seine Seite
gestellt
http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-10/k ... abrechnung

Die Diskussion geht weiter …

Was den direkten Zusammenhang angeht, hast du sicher recht. Für mich unterscheidet sich dieser
Auswuchs des GKV-Systems aber nicht wesentlich vom Krankengeld-Skandal (BSG-Krankengeld-Falle
und illegaler Selbstvollzug des Krankengeld-Rechts).

@Joebo, "Viele Kassen tauchen bei den selben Ärzten auf" - Wahnsinn!
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Geht auch gar nicht anders. Die Kassen können nur die einer Plausibilät der Daten prüfen und nicht die der Fremdkassen.

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