Krankengeld-Falle - setzt sich Recht durch?

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billy
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Beitrag von billy » 11.05.2017, 19:45

Soweit es dieser Presseerklärung zu entnehmen ist ein nachvollziehbares und vernünftiges Urteil. Wenn die Patienten am letzten Tag der AU tatsächlich beim Arzt waren und der aus verschiedenen Gründen nur die schriftliche Form der AU-Feststellung unterlassen hat, ist dies den Patienten nicht anzulasten.

Ich vermisse allerdings Aussagen zu den von Ihnen immer wieder propagierten Thesen zum Dauerverwaltungsakt, den Aufhebungsbescheiden und vor allem dazu, dass die einmalige Feststellung der AU ausreicht und danach willkürlich. -auch gern erst nach x Monaten- ein Arztbesuch erfolgen kann, ohne dass dies Auswirkungen auf den KG-Bezug hat. Aber vielleicht enthält das Urteil derartige Aussagen. Insofern bleibt die Urteilsbegründung abzuwarten.

Sollte darin allerdings hierzu kein Wort erfolgen, hoffe ich, dass Sie nicht weiterhin Betroffene mit falscher Hoffnung in die Instanzen jagen. Denn nach dieser Pressemitteilung haben Versicherte, die -nach altem wie neuem Recht- nicht rechtzeitig beim Arzt waren (was in diesen Fällen eben nicht so war) auch weiterhin mit den vollen Konsequenzen zu rechnen.

Gruß
billy

broemmel
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Beitrag von broemmel » 11.05.2017, 20:13

Schön zusammengefasst.

Danke billy

Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 11.05.2017, 22:55

.
So sehr weichen erste Eindrücke von einander ab:
http://www.krankenkassenforum.de/hier-k ... html#84754
.

billy
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Beitrag von billy » 11.05.2017, 23:20

Ok Herr Butz, dann nehmen Sie doch mal Stellung zu meinem Einwand, dass der 3. Senat offensichtlich Ihre Thesen zur nur einmalig nötigen Feststellung der AU offenbar nichts gesagt hat.

Und wie gestaltet sich denn nun nach diesen Urteilen die Situation für Menschen, die nicht rechtzeitig, sondern einen Tag zu spät zum Arzt gekommen sind. Was können diese Patienten denn aus der heutigen Urteilsfindung für Weisheiten ziehen?

Ich bin auf Ihre diesbezüglichen Einlassungen durchaus gespannt.

Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 11.05.2017, 23:44

.
Langsam, der Reihe nach, erst mal dazu:
billy hat geschrieben: Ich vermisse allerdings Aussagen zu den von Ihnen immer wieder propa-
gierten Thesen zum Dauerverwaltungsakt, den Aufhebungsbescheiden ...
Wenn der Anspruch weiterhin besteht, stellen sich diese Fragen für das BSG
nicht.

Sind wir in diesem Punkt einig?
.

billy
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Beitrag von billy » 11.05.2017, 23:50

Nein, das sehe ich anders.

Urteile des BSG sind in der Regel nicht nur einspurig. Wenn bereits allein die Tstsache, dass allgemeine Vorschriften der SGB I oder X nicht beachtet wurden, so gäbe es hierzu Einlassungen. Wie bereits gesagt.....vielleicht sind diese in der Urteilsbegründung zu finden. Allerdings bezweifle ich dies nach dem Wortlaut der Presseerklärung.....

Für heute bin ich nun aber raus. Irgendwann ruft das Bett. Bin ich durchaus gespannt, was ich morgen hier von Ihnen lesen werde.

Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 11.05.2017, 23:57

.
"nicht nur einspurig" ist gut, noch besser als
die "fiktive Konstruktions-"Recht"sprechung des
1. BSG-Senates".
.
Vorschlag:
Wenden Sie sich an die Pressestelle des BSG, die
soll Ihnen Ihre Fragen zum "Recht"sprechungs-
wechsel
beantworten.

Persönliche E-Mail-Adressen finden sie unter
"Presseclub Kassel".
.

Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 12.05.2017, 07:59

.
„Treuwidrige“ Krankenkassen – aber auch Sozialgerichte

Hier die beste Passage aus der BSG-Pressemitteilung:
Der Versicherte darf auch insoweit nicht auf - ungewisse - Regressansprüche ge-
gen den Arzt verwiesen werden. Aufgrund der AU-Richtlinien des Gemeinsamen
Bundesausschusses (GBA), die - anders als das Gesetz - eine rückwirkende AU-
Attestierung erlauben, kann regelmäßig nicht angenommen werden, dass ein
Vertragsarzt weiß, dass ein solches Attest aber zum Verlust langzeitiger Kran-
kengeld-Ansprüche des Versicherten führt. Die Krankenkassen wirken durch
Vertreter an den Beschlüssen im GBA mit. Deshalb erscheint es treuwidrig,
wenn sich die Krankenkassen bei dieser Sachlage trotz ihrer Mitverant-
wortung für die Richtlinien von ihrer Leistungspflicht befreien könnten
.

http://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Publi ... nn=8718590

Ganz neu ist diese Erkenntnis nicht - nur halt vom 1. BSG-Senat bei seinen "letzten" Entscheidungen am 16.12.2014 ignoriert worden:

Schöne Grüße von Keller, Krankengeld-Richter im LSG RP:

"Die rechtzeitige ärztliche Feststellung des Fortbestehens von Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für weiteres Krankengeld"
s. KrV Kranken- und Pflegeversicherung Rechtspraxis im Gesundheitswesen, Ausgabe 4/2013

und von Herrn Knispel, damals Vorsitzender Krankengeld-Richter im LSG NRW

"Zur ärztlichen Feststellung des Fortbestehens von Arbeitsunfähigkeit bei abschnittsweiser Krankengeldgewährung"
s NZS 2014 Heft 15, 561 - 569.
.

Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 12.05.2017, 14:25


Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 12.05.2017, 15:02

Anton Butz hat geschrieben:.
Das meint die UPD
https://www.patientenberatung.de/de/pre ... is-1964749
.
Hallo Anton,
ja sicher, das was da geschrieben steht ist doch völlig okay und nur zu unterstreichen - wenn ein Versicherter rechtzeitig beim Arzt war und trotzdem keine Bescheinigung erhalten hat soll deshalb sein Krankengeldanspruch nicht erlöschen - das ist eine ordentliche Revision, deren Ergebnis sicher von niemanden kritisiert wird (ausser vielleicht von den Kassen, aber selbst da bin ich mir nicht so sicher, besteht da nun eine Rechtssicherheit).
Was in der Stellungnahme der UPD aber auch nicht verschwiegen werden sollte ist folgendes ...
Aus Sicht der Patientenberatung sollten die gesetzlichen Krankenversicherungen verpflichtet werden, die Versicherten bei Eintreten des Versicherungsfalls explizit darauf hinzuweisen, dass der Bezug von Krankengeld an die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit gebunden ist. „Außerdem sollte der Gesetzgeber die Entscheidung des BSG zum Anlass nehmen, um im Sinne eines patientenfreundlicheren Gesundheitssystems den tatsächlichen Gesundheitszustand des Versicherten zum Maßstab für Bezug von Krankengeld zu machen“, sagt Heike Morris.
Das ist zum Einen eine Bestätigung der derzeitigen Rechtslage aus der Sicht der UPD - die Forderung nach Aufklärung zeigt dies und dazu auch sehr berechtigt, denn wenn bei Beginn der Krankengeldzahlung an Arbeitslose oder bei Beendigung der Beschäftigung während des Krankengeldbezuges ein genaue und vor allem schriftliche Aufklärung erfolgen würde, gäbe es auch nach meiner Meinung noch weniger Fälle als bisher, die dann in die "Krankengeldfalle" laufen.
Zum anderen die Forderung nach einem patientenfreundlicheren Gesundheitssystem, also die Berücksichtigung des des tatsächlichen Gesundheitszustandes beim Bezug von Krankengeld - das trifft sich mit meiner Vorstellung, dass es eben den Kassen möglich sein muss, gerade wenn es sich um Diagnosen aus dem psychischen Bereich handelt, versichertenfreundlich zu entscheiden wenn es nun mal nicht lückenlos
mit den AU-Meldung geklappt hat, auch aus anderen Gründen als jene, die bei dem beurteilten Fall vorgelegen haben.
Was aber auch meiner Meinung nach sicher ist, und ich denke, du siehst das auch so, dass deine Wünsche an den gestrigen Termin nicht in Erfüllung gegangen sind und du jetzt vor der Frage stehst - weitermachen
oder nicht. Ich denke, ich kenne die Antwort.
Gruss
Guenter

Rossi
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Beitrag von Rossi » 12.05.2017, 18:57

Heute wurde auch das Ergebnis der BSG-Urteile in Kurzform veröffentlicht.

Guckt ihr hier:

http://juris.bundessozialgericht.de/cgi ... 7&nr=14583

Glückwunsch Anton. Der 3. Senat, der jetzt ganz allein für das Krankengeld zuständig ist, hat die Rechtsprechung des 1. Senates teilweise gekippt.

Zitat:



Der für das Krg (§§ 44 ff SGB V) nach dem aktuellen Geschäftsverteilungsplan des BSG allein zuständige erkennende Senat gibt insofern anderslautende Rechtsprechung des 1. Senats auf. Abgesehen von der tatsächlichen und rechtlichen Problematik, solche Ansprüche gegen einen Arzt erfolgversprechend durchzusetzen, steht einer solchen Sichtweise die Regelung in § 6 Abs 2 der AU-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (AU-RL des GBA, hier idF vom 19.9.2006, BAnz Nr 241 S 7356 vom 22.12.2006) entgegen

Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 12.05.2017, 19:37

Hallo,
Glückwunsch Anton ???? - wozu - das , was er wollte fehlt in diesem Urteil bzw. in der Begründung - das Urteil selbst war auch von der Mehrheit der Experten mit Sicherheit so erwartet worden, aber von dem, was Anton sich erhofft hatte, gab es nichts zu feiern, denn hier hat auch der 3. Senat
sich nicht dazu geäußert.
Glückwunsch - ich persönlich hätte mich da gerne angeschlossen - dann wären wir dieses Thema endlich los geworden - aber so -" the show must go on" oder "Die Spiele müssen weitergehen".
Gruss
Czauderna

Rossi
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Beitrag von Rossi » 12.05.2017, 19:55

Nun ja Günter!

Der bislang hierfür zuständige 1. Senat hatte kurz vor Weihnachten 2014 noch mehrere Entscheidungen hinsichtlich der Krankengeldfalle getroffen. Offensichtlich wohl wissentlich, dass ab dem 01.01.2015 der 3. Senat für das Krankengeld zuständig sein wird, der vielleicht eine andere Rechtsansicht haben könnte und damit die gefestigte BSG-Rechsprechung teilweise über den Haufen geworfen werden könnte.

Wenn es eine gefestigte Rechtsprechung des BSG gibt, dann können die Landessozialgerichte (LSG) keine Revisionen zum BSG zulassen, da ja alles vermeintlich geklärt ist.

D.h., wenn der Drops gelutscht ist, dann kann man mit dem gleichen Sachverhalt nicht wieder zum BSG marschieren. Denn das BSG hat etwas anderes zu tun. Das BSG muss sich nicht immer mit den gleichen Sachverhalten befassen, wenn es höchstrichterlich geklärt ist.

Genau aus diesem Grund hat der 1. Senat noch kurz vor dem Zuständigkeitswechsel zum 3. Senat die Klamotten entschieden. Es wurde somit alles grundsätzlich entschieden. Man hat es also extra deswegen gemacht.

Und dennoch haben einige LSG noch einmal die Revision zum BSG zugelassen, obwohl es ja vermeintlich geklärt ist.

Und Ei der Daus; jetzt wirft der neue zuständige 3. Senat die Klamotte dennoch teilweise über den Haufen.

Jenes ist schon einzigartig in unserem Rechtssystem!!!

Das meinte ich damit.

Anton Butz
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Beitrag von Anton Butz » 12.05.2017, 20:57

Danke Rossi!

Damit ist der angekündigte Rechtsprechungswechsel eingeleitet.
Fortsetzung folgt!

Das jetzt vorliegende Schema ist ziemlich ausbaufähig. Da passt sich auch
der (Alt-) Fall ein, in dem der Arzt AU nur bis Freitag bescheinigte, obwohl
ihm klar war, dass diese weiterhin besteht, er aber meinte, es reiche, wenn
er die Folgebescheinigung beim vorgegebenen Termin am Montag ausstelle.
Dazu sind meines Wissens noch verschiedene Fälle bei den LSG anhängig.

Dass Guenter jetzt „beschönigt“, sehe ich ihm nach. „Von der Mehrheit der
Experten so erwartet“ ist aber schlicht Quatsch, nachdem es in den zuvor
letzten gleichgelagerten BSG-Fällen die Krankenkassen waren, die erfolg-
reich Revision einlegten und die AOK´en damals selbstverständlich und
völlig unkritisch obsiegten.
http://www.prinz.law/urteile/bundessozi ... -04-08.pdf
http://www.prinz.law/urteile/bundessozi ... -06-18.pdf

Auch wenn der ehemalige BSG-Präsident damals nicht mitwirkte: als der
Unsinn von Folgen „unzutreffender rechtlicher Ratschläge“ entstand, war
er dabei. Damit ist ausreichend klar, dass der 1. BSG-Senat unter Vorsitz
des Präsidenten nicht über Krankengeld entscheiden konnte und sehr an-
genehm, dass dessen Rechtsauffassung bei erster Gelegenheit nach sei-
nem „Ausscheiden“ aufgegeben wird.

Beim 3. Senat bin ich mir noch nicht sicher. Aber das Ergebnis stimmt und
die Hinweises auf § 6 Abs. 2 AU-RL lassen hoffen, auch die Details der
schriftlichen Urteilsbegründung. Bis dahin kann die – einseitige –
Diskussion im Parallelthread jedenfalls fortgesetzt werden.

Schönen Gruß
Anton

Czauderna
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Beitrag von Czauderna » 12.05.2017, 21:00

Hallo Anton,
Ich " beschönige" nicht, ich stelle fest das dieses Urteil ein gutes ist und meine volle Zustimmung findet und ich meine, dass ich da nicht alleine bin als ( ehemaliger) Krankenkassenmitarbeiter.
Gruß
Guenter

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