Sperrzeitregelung und Krankengeld

Moderatoren: Czauderna, Karsten

Anton Butz
Beiträge: 2260
Registriert: 16.09.2010, 15:43

Sperrzeitregelung und Krankengeld

Beitrag von Anton Butz » 15.02.2017, 12:29

.
Dieser konkrete Fall

http://www.krankenkassenforum.de/kranke ... ght=#83564

wirft die Frage auf, wie § 49 Abs. 1 Nr. 3a SGB V anzuwenden ist, wonach der Anspruch auf Krankengeld
ruht, solange der Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen einer Sperrzeit nach dem SGB III ruht:

https://dejure.org/gesetze/SGB_V/49.html

.

Anton Butz
Beiträge: 2260
Registriert: 16.09.2010, 15:43

Beitrag von Anton Butz » 15.02.2017, 19:11

.
Sehr gegensätzliche Standpunkte:

Bild

Ich möchte gerne näheres erfahren.
.

Pichilemu
Beiträge: 224
Registriert: 03.01.2017, 16:56

Beitrag von Pichilemu » 15.02.2017, 19:47

Dann dürfte das BSG-Urteil vom 3. Juni 2004 (AZ B 11 AL 55/03 R) helfen:
Der Senat geht deshalb davon aus, dass das in § 49 Abs 1 Nr 3a SGB V angeordnete Ruhen des Krg-Anspruchs nur das Ruhen für den Zeitraum betrifft, in dem Alg während der ersten sechs Wochen gemäß § 126 SGB III fortzuzahlen ist. Im Übrigen kommt die Ruhensregelung des § 142 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III, die dem früheren § 118 Abs 2 AFG entspricht, zum Tragen (so auch LSG Brandenburg Urteil vom 19. Februar 2003, L 4 KR 44/01).
Das heißt, der § 49 Abs. 1 Nr. 3a SGB V betrifft nur Bezieher von Arbeitslosengeld, die 1. während des Bezugs krank werden und 2. nur deswegen die sechswöchige Fortzahlung des Alg nicht erhalten, weil eine Sperrzeit verhängt wurde. Eine Sperrzeit kann nämlich nur von der AfA per schriftlichem Verwaltungsakt verhängt werden, die Regelungen zur Sperrzeit sind kein Selbstvollzug. Die AfA wird eine Sperrzeit aber nur dann feststellen, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung von Alg überhaupt erfüllt sind, und das sind sie nicht, solange noch ein vorrangiger Anspruch auf Krankengeld besteht, was sich eben aus § 142 SGB III-alt (§ 156 SGB III-neu) ergibt.

Anton Butz
Beiträge: 2260
Registriert: 16.09.2010, 15:43

Beitrag von Anton Butz » 18.02.2017, 20:50

.
Irrtum Pichilemu,

das Urteil v. 03.06.2004, B 11 AL 55/03 R, hat mit der hier gegenständlichen
Sperrzeitfrage nichts zu tun:

https://www.jurion.de/urteile/bsg/2004- ... al-55_03-r

Die dargestellten Folgerungen ("Das heißt, ...") können darauf also nicht gestützt
werden. Aber die Unterscheidung zwischen "verhängt" und "feststellen" kommt
dem Kern der Sache schon näher.

.

Pichilemu
Beiträge: 224
Registriert: 03.01.2017, 16:56

Beitrag von Pichilemu » 19.02.2017, 00:07

Das Urteil ist sehr wohl relevant, weil es das Verhältnis zwischen Krankengeld und Arbeitslosengeld beschreibt, denn beide Leistungen schließen sich gegenseitig aus, die Frage war nur, ob Krankengeld vorrangig ist oder Arbeitslosengeld, und da hat das BSG entschieden, dass, wenn ein Krankengeld-Anspruch besteht, dieser immer vorrangig vor Arbeitslosengeld ist.

Aber: zu der konkreten Problematik hab ich auch nach langer Recherche kein Urteil gefunden, was doch dafür spricht, dass bisher noch nie eine KK Krankengeld wegen einer Sperrzeit verweigert hat.

Die KK wäre auch nicht berechtigt einen Sperrzeittatbestand selbst feststellen. Urteile dazu gibt es bei einer ähnlichen Konstellation, nämlich zur Feststellung der Vorversicherungszeit für die freiwillige Versicherung. Es ist nämlich immer wieder mal vorgekommen, dass Personen vom Jobcenter für erwerbsunfähig erklärt wurden und dann in die Zuständigkeit des Sozialamtes fielen, die KK aber die anschließende freiwillige Versicherung mit der Begründung abgelehnt hat, die Vorversicherungzeit sei nicht erfüllt, denn das Jobcenter hätte ALG II wegen der Erwerbsunfähigkeit niemals bewilligen dürfen. Da hat aber das BSG soweit ich weiß sogar mehrmals entschieden, dass die KKen kein Recht haben, die Bewilligung von ALG II eigenständig zu überprüfen und anzufechten. Wenn das Jobcenter ALG II per rechtskräftigen Bescheid bewilligt hat, haben sich die KKen daran zu halten.

Das wäre hier ja genauso. Solange die AfA noch keine Sperrzeit konkret festgestellt hat, ist die KK nicht berechtigt, eigenständige Ermittlungen anzustellen, ob ein Sperrzeittatbestand erfüllt wäre.

Anton Butz
Beiträge: 2260
Registriert: 16.09.2010, 15:43

Beitrag von Anton Butz » 19.02.2017, 11:52

.
Jetzt mal weg von zielgerichteter Argumentation zur Ausgangsfrage:

Könnte § 49 Abs. 1 Nr. 3a SGB V – „Sperrzeit“ – im Sinne des Gesetzgebers
und zugleich im Interesse der Versichertengemeinschaft(en) darauf gerichtet
sein, die Umgehung von Sperrzeiten beim Arbeitslosengeld durch Kranken-
geld-Gewährung zu vermeiden?

.

Pichilemu
Beiträge: 224
Registriert: 03.01.2017, 16:56

Beitrag von Pichilemu » 19.02.2017, 12:40

Ganz klares Nein, denn die Sperrzeit kann durch den Bezug von Krankengeld nicht umgangen werden. Die Sperrzeit wird in jedem Fall verhängt, sobald das Krankengeld ausläuft, sei es durch Gesundung oder wenn die Aussteuerung nach 78 Wochen eintritt.

Anton Butz
Beiträge: 2260
Registriert: 16.09.2010, 15:43

Beitrag von Anton Butz » 19.02.2017, 13:30

.
Wenn in solchen Fällen nachträglich eine Sperrzeit "festgestellt"
wird, läuft diese immer während der Zeit des Krankengeld-Bezuges.

Welche Auswirkungen ergeben sich dann auf bereits gezahltes Kranken-
geld? Ruht das Krankengeld dann nachträglich, rückwirkend?
.

Pichilemu
Beiträge: 224
Registriert: 03.01.2017, 16:56

Beitrag von Pichilemu » 19.02.2017, 13:36

Da muss ich intervenieren.

Zwar sagt § 159 Abs. 2 SGB III tatsächlich, dass die Sperrzeit mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, beginnt. Jetzt muss man sich aber die Kriterien für die Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe genau durchlesen:
Versicherungswidriges Verhalten liegt vor, wenn [...] die oder der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe)
Der Begriff "Arbeitslosigkeit" nimmt auf die Definition in § 138 SGB III Bezug. Demnach setzt Arbeitslosigkeit unter anderem voraus, dass man den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht. Wer jedoch AU ist, steht den Vermittlungsbemühungen nicht zur Verfügung, ist somit nicht verfügbar und damit auch nicht arbeitslos im Sinne des § 138 SGB III. Das Kriterium für die Sperrzeit ist also bereits rein objektiv nicht erfüllt. Das Ereignis, dass die Sperrzeit begründet, wäre also in diesem Fall nicht der Tag der Eigenkündigung oder der letzte Tag, an dem man arbeitet, sondern der Tag, an dem das Krankengeld ausläuft, ohne dass eine Anschlussbeschäftigung vorliegt. Die Sperrzeit beginnt also erst nach dem Bezug von Krankengeld zu laufen.

Anton Butz
Beiträge: 2260
Registriert: 16.09.2010, 15:43

Beitrag von Anton Butz » 19.02.2017, 14:17

.
Irrtum Pichilemu,

Die Sperrzeit beginnt grundsätzlich mit dem Tag nach dem Ereignis, an dem
alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, welche die Sperrzeit begründen. Wird ein
Beschäftigungsverhältnis beendet, beginnt die Sperrzeit mit der Beschäftigungs-
losigkeit.

.

Pichilemu
Beiträge: 224
Registriert: 03.01.2017, 16:56

Beitrag von Pichilemu » 19.02.2017, 14:44

Nein, Beschäftigungslosigkeit ist nur eines von drei Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit Arbeitslosigkeit vorliegt. Das andere Kriterium ist die Verfügbarkeit, und wer AU ist, ist nicht verfügbar und somit nicht arbeitslos.

Rossi
Beiträge: 2072
Registriert: 16.12.2007, 14:41

Beitrag von Rossi » 19.02.2017, 14:51

Man sollte sich mit einem Studium der Rechtslektüre Klarheit verschaffen.

Wir halten mal fest:

Eigenkündigung zum 31.03.2017 (kein wichtiger Grund)

Krankengeldbezug vom 01.04.2017 - 30.06.2017

Arbeitslosmeldung und Beantragung ALG I zum 01.07.2017.

Gretchenfrage, bekommt er jetzt ab dem 01.07.2017 die Sperrzeit verdonnert oder in der Zeit vom 01.03.2017 - 24.06.2017?

Meines Erachtens in der Zeit vom 01.03.2017 - 24.06.2017.

Die Rechtslektüre:

§ 159 Ruhen bei Sperrzeit

....

(2) Die Sperrzeit beginnt mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, oder, wenn dieser Tag in eine Sperrzeit fällt, mit dem Ende dieser Sperrzeit. Werden mehrere Sperrzeiten durch dasselbe Ereignis begründet, folgen sie in der Reihenfolge des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 1 bis 7 einander nach.


Okay, jetzt hat er aber keine Leistungen bezogen und bekommt dennoch eine Sperrzeit. Dem Grunde nach würde er die eigentliche Sperrzeit damit umgehen oder?

Nein, dafür hat der Gesetzgeber nämlich eine andere Vorschrift geschaffen.

Zitat:
148 Minderung der Anspruchsdauer




(1) Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld mindert sich um

1. die Anzahl von Tagen, für die der Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit erfüllt worden ist,

2. jeweils einen Tag für jeweils zwei Tage, für die ein Anspruch auf Teilarbeitslosengeld innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs erfüllt worden ist,

3. die Anzahl von Tagen einer Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung, unzureichender Eigenbemühungen, Ablehnung oder Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme, Meldeversäumnis oder verspäteter Arbeitsuchendmeldung,

4. die Anzahl von Tagen einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe; in Fällen einer Sperrzeit von zwölf Wochen mindestens jedoch um ein Viertel der Anspruchsdauer, die der oder dem Arbeitslosen bei erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, zusteht,

5. die Anzahl von Tagen, für die der oder dem Arbeitslosen das Arbeitslosengeld wegen fehlender Mitwirkung (§ 66 des Ersten Buches) versagt oder entzogen worden ist,

6. die Anzahl von Tagen der Beschäftigungslosigkeit nach der Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld, an denen die oder der Arbeitslose nicht arbeitsbereit ist, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben,

7. jeweils einen Tag für jeweils zwei Tage, für die ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung nach diesem Buch erfüllt worden ist,

8. die Anzahl von Tagen, für die ein Gründungszuschuss in der Höhe des zuletzt bezogenen Arbeitslosengeldes geleistet worden ist.




D.h., dass die AfA die Sperrzeit feststellt (01.04.2017 - 24.06.2017) und dann ab dem 01.07.2016 die Anspruchsdauer des ALG I mindert. Damit kommt es dann auf das Gleiche hinaus.

Dann gibt es für solche Fälle (Sperrzeit später feststellen) auch noch eine Vorschrift, die regelt, wie lange man rückwirkend eine Sperrzeit feststellen kann bzw. wie lange rückwirkend eine Minderung des Anspruches möglich ist.

Diese findet man in § 148 Abs. 2 SGB III.

Zitat:
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 5 und 6 mindert sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld höchstens um vier Wochen.

In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 3 und 4 entfällt die Minderung für Sperrzeiten bei Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme oder Arbeitsaufgabe, wenn das Ereignis, das die Sperrzeit begründet, bei Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld länger als ein Jahr zurückliegt.

In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 7 unterbleibt eine Minderung, soweit sich dadurch eine Anspruchsdauer von weniger als einem Monat ergibt.

Ist ein neuer Anspruch entstanden, erstreckt sich die Minderung nur auf die Restdauer des erloschenen Anspruchs (§ 147 Absatz 4).




D.h,. für mich, wenn das Sperrzeitereignis länger als 12 Monate ab Beginn des Leistungsbezuges (ALG I) zurückliegt, passiert nichts. Ist es innerhalb des 12 Monatszeitraumes wird die Sperrzeit rückwirkend verhängt und der Anspruch des ALG I gemindert.

So verstehe ich derzeit die Rechtslektüre ohne irgendwelche Kommentierungen gelesen zu haben. Für mich ist es derzeit auch logisch.

Damit hat Anton - meines Erachtens - genau ins Schwarze getroffen.

Und genau dann haben wir das Problem, dass das Krankengeld grundsätzlich ruht, während einer Sperrzeit. Tja, zurückfordern wird man das Krankengeld dann wohl nicht können.

Rossi
Beiträge: 2072
Registriert: 16.12.2007, 14:41

Beitrag von Rossi » 19.02.2017, 14:56

Nun denn, einschlägige Kommentierungen halten es auch so fest.

Zitat SGB Haufe § 159 Abs. 2 SGB III

2.7 Eintritt der Sperrzeit


Rz. 654

Mit dem Beginn der Sperrzeit wird ihr Eintritt beschrieben. Den regelt Abs. 2 abschließend. Die Sperrzeit tritt kraft Gesetzes ein. Sie beginnt grundsätzlich am Tag nach dem Ereignis, das den Eintritt der Sperrzeit begründet (Abs. 2 Satz 1). Eine Konkurrenz zu anderen Ruhenstatbeständen besteht nicht. D.h., dass eine Sperrzeit auch zeitgleich mit anderen Ruhenstatbeständen festgestellt werden und ablaufen kann. Auf den Bezug von Alg kommt es nicht an (BSG, Urteil v. 5.8.1999, B 7 AL 14/99 R, SozR 3-4100 § 119 Nr. 17). In dieser Entscheidung hat das BSG ausgeführt, dass es keinen Einfluss auf die in Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 geforderte Kausalität hat, wenn Alg erst für einen Zeitpunkt beansprucht wird, zu dem ohnedies etwa aufgrund einer einem Aufhebungsvertrag vorausgegangenen Kündigung durch den Arbeitgeber Arbeitslosigkeit bestanden hätte. Die Frage nach der Berücksichtigung hypothetischer Geschehensabläufe stellt sich nicht, schon zuvor habe das BSG ausdrücklich eine Kausalität für den Fall einer einvernehmlichen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zu dem Zeitpunkt bejaht, zu dem ohnedies gekündigt worden wäre (BSG, Urteil v. 12.4.1984, 7 RAr 28/83, DBlR Nr. 2959 AFG/§ 119).

Anton Butz
Beiträge: 2260
Registriert: 16.09.2010, 15:43

Beitrag von Anton Butz » 19.02.2017, 15:43

.
Rossi hat geschrieben: Und genau dann haben wir das Problem, dass das Krankengeld grundsätzlich
ruht, während einer Sperrzeit. Tja, zurückfordern wird man das Krankengeld
dann wohl nicht können.
Super Rossi, so ähnlich sehe ich das auch. Das Problem haben wir aber nicht erst
„dann“, sondern schon am 01.04.2017, denn die Sperrzeit tritt Kraft Gesetzes
ein und beginnt Kraft Gesetzes an diesem Tage.

Damit steht in solchen Standard-Fällen zwingend die Frage im Raum:

Darf Krankengeld hier vom 01.04.2017 bis 23.06.2017 einfach
so – gedankenlos – gewährt werden?

.

Pichilemu
Beiträge: 224
Registriert: 03.01.2017, 16:56

Beitrag von Pichilemu » 19.02.2017, 17:25

Die KK kann ja nicht beurteilen ob nicht ein wichtiger Grund für die Kündigung vorliegt, z. B. ein ärztliches Attest das besagt dass diese Arbeit gesundheitlich nicht geeignet für den Versicherten ist.

Antworten