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von vlac » 25.09.2017, 12:42
Hallo,
zunächst einmal möchte ich deutlich hervor heben, dass Pichilemu auf meine Nachfrage hin selbst erklärt hat, dass ihm oder ihr keine Fälle bekannt sind, in denen erfolgreich Krankengeld über die gesetzliche Höchstgrenze hinaus eingeklagt wurde.
Dass dennoch weiterhin im Brustton der Überzeugung behauptet wird, dieser Weg sei möglich und erfolgversprechend, ist einigermaßen verstörend, denn auch wenn ein solches Verfahren kein Geld kostet: Es kostet Mühe. Und es gibt keine Hinweise darauf, dass es erfolgreich wäre.
Darüber hinaus habe mich noch einmal bei Juristen rückversichert:
1. Auf Grund der vorliegenden Angaben und bekannten Informationen über den Fall lässt sich keinerlei Aussage darüber treffen, ob ein Fehlverhalten der Krankenkasse vorliegt, ob und in welcher Höhe Ansprüche bestehen.
2. Es lässt sich aber mit Sicherheit sagen, dass der von Pichilemu geforderte Weg keinerlei Aussicht auf Erfolg hat.
3. Dem TE "entgeht", anders als von Anton Butz behauptet, kein Arbeitslosengeld, weil ein bestimmter Gesamtanspruch besteht und die sechs Wochen, würden diese zu Beginn ausgezahlt, am Ende wieder abgezogen würden. In der Gesamtsumme entstünde kein Vorteil.
4. Dem oder der TE hier im Thread wäre auch, um dies noch einmal deutlich zu machen, unter Berücksichtigung der dem Gesetz nach zustehenden Leistungen, auch nur ein Schaden entstanden, dessen Höhe sich hier keinesfalls beziffern lässt: Krankengeldanspruch besteht für 78 Wochen innerhalb von drei Jahren wegen der derselben Erkrankung in einer durch das Gesetz bestimmten Höhe. Anspruch auf ALG I besteht in diesem Fall für eine bestimmte, wiederum gesetzlich bestimmte Zeit, in einer gesetzlich bestimmten Höhe. Sind diese Leistungen in der dem Gesetz nach zustehenden Höhe ausgezahlt worden, oder werden diese Leistungen in der dem Gesetz nach zustehenden Höhe ausgezahlt worden, besteht hier auch dann kein Schaden, wenn zwischen den Leistungen eine Lücke besteht. Der Schaden summiert sich hier höchstens aus den Kosten, die angefallen sind, weil das ALG I verspätet beantragt wurde. Anders sähe es aus, wenn beispielsweise Wohngeld- oder ALG II-Leistungen wegen Fristüberschreitung für bestimmte Monate nicht gezahlt wurden. In diesem Fall könnte in dieser Höhe ein Schaden entstanden sein.
Erfolgreiche Rechtsstreitigkeiten über das ALG II können nicht als Beleg dafür heran gezogen werden, dass dieses Vorgehen auch grundsätzlich bei Auseinandersetzungen über das Krankengeld erfolgreich sein wird.
Denn es gibt vor allem einen gravierenden Unterschied: Die gesetzlich festgelegte Höchstbezugsdauer für das Krankengeld. Es besteht also nicht nur kein Anspruch auf Krankengeld über die 78 Wochen hinaus; dieser Anspruch ist gesetzlich ausgeschlossen.
Eine Leistungsklage vor dem Sozialgericht wäre schon deshalb erfolglos, weil ein Rechtsanspruch auf die geforderte Leistung bestehen muss; dies ist hier aber nicht der Fall, weil die 78 Wochen erreicht sind; daran würden auch ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nichts ändern, denn Verwaltungsakte können gesetzliche regelungen nicht aufheben. Die gesetzliche Höchstgrenze ist erreicht; das Gericht kann grundsätzlich nur die Leistung bis zum Tag, an dem die Grenze erreicht wird, gewähren.
Es ist auch, um dies noch einmal deutlich zu machen, bislang in keinem einzigen Fall passiert, dass sich ein Sozialgericht über die Höchstgrenze hinweg gesetzt hat, und Krankengeld darüber hinaus zugesprochen hat.
Es ist auch nicht so, dass der normalverständige Versicherte mit Zugang eines Bescheides, in dem es heißt, dass Krankengeld beispielsweise "bis auf weiteres" gezahlt werde, darauf vertrauen kann, dass dies bedeutet, dass Krankengeld nun auch über die Höchstgrenze hinaus gezahlt wird. Viele, wenn nicht gar alle Krankenkassen weisen Krankengeldbezieher mindestens zu Beginn des Krankengeldbezuges darauf hin, dass ein Anspruch für längstens 78 Wochen wegen derselben Erkrankung innerhalb von drei Jahren besteht.
Man muss an dieser Stelle auch deutlich machen, dass die Sichtweise, bei der Krankengeldgewährung handele es sich um einen "Verwaltungsakt mit Dauerwirkung" der dazu führe, dass ein Krankengeldanspruch auch über die 78 Wochen hinaus bestehe, wenn der Verwaltungakt nicht aufgehoben werde, um eine Meinung handelt, die von Internet-Nutzern vertreten wird. Erst dadurch wird bei manchen Versicherten überhaupt die Annahme erzeugt, man habe einen Anspruch auch über die 78 Wochen hinaus, so lange die Krankengeldbewilligung nicht aufgehoben wird.
In diesem Zudammenhang möchte ich nun auf die Schadenersatzklage zu sprechen kommen. Hier hatte Pichilemu behauptet, man müsse unbedingt vor dem Sozialgericht klagen, weil dies für einen zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch Bedingung sei.
Auch dies ist nur bedingt richtig. Um Schadenersatzansprüche aus entgangenem Wohngeld oder ALG II geltend zu machen, müsste wohl zunächst versucht werden, diese Leistungen auf dem Wege des Antrags auf Widereinsetzung in den vorigen Stand und der anschließenden Klage geltend zu machen. Dies müsste dann aber im Detail von einem Anwalt geklärt werden.
Im vorliegenden Szenario ist die Leistung selbst durch die im Gesetz festgelegte Höchstgrenze ausgeschlossen; dass die 78 Wochen erreicht wurden, darüber scheint hier kein Streit zu bestehen. Nur dann, wenn über die Berechnung der Bezugsdauer durch die Krankenkasse Streit bestünde, wäre die endgültige Klärung, wann die 78 Wochen erreicht wurden, erforderlich.
Es besteht aber weder eine Verpflichtung noch eine Notwendigkeit, vor der Einreichung einer Schadenersatzklage von Internet-Nutzern aufgestellte Rechtsauslegungen durchzuklagen, wenn die Rechtslage ansonsten für den normalverständigen Bürger offensichtlich ist: Die Höchstgrenze von 78 Wochen ist errreicht; das Erreichen der Höchstgrenze ist in diesem Fall unbestritten.
Wäre ein Sozialgericht überhaupt geneigt, der hier vertretenen Sichtweise zu folgen, wäre aber dennoch nicht von einem leichten und unkomplizierten Rechtsstreit auszugehen. Wenn man der hier vertretenen Argumentation für den Moment folgt, sie als Fakt betracht, dann muss man zunächst einmal feststellen: Ob es sich in dieser Logik um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt, ist zunächst einmal völlig offen, weil weder der genaue Wortlaut dieses Bescheids, noch der Inhalt des gesamten Schriftsverkehrs der Krankenkasse mit der oder dem TE bekannt ist. Die Aussage, es handele es sich um "einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung", ist also derzeit eine reine Behauptung ohne jegliche Grundlage: es kommt nicht nur auf ein paar Worte an, sondern auf den Gesamt-Inhalt der Korrespondenz.
Als Nächstes müsste man damit rechnen, dass die Krankenkasse den Nachweis des Zugangs des Schreibens antritt. Das einfache Bestreiten des Zugangs reicht nur so lange aus, wie eine Behörde nicht versucht, das Gegenteil zu beweisen. Moderne Versendesysteme lassen aber heute, wenn auch mit einigem Aufwand, den Nachweis zu, dass Schreiben an den Postdienstleister übergeben wurden. Darüber hinaus kann auch auf dem Wege des Nachforschungsauftrages beim Postidenstleister derart plausibel gemacht werden, dass ein Schreiben zugegangen ist, dass wiederum der Kläger sein Bestreiten substantiieren müsste.
Darüber hinaus dürfte aber auch innerhalb der hier erörterten Logik die Frage aufkommen, auf welchen Zeitraum sich ein "überschiessender" Krankengeldanspruch bezöge. Es ist nach allgemeiner Lebensanschauung zu erwarten, dass sich der Leistungsbezieher, der über einen längeren Zeitraum hinweg keine Leistungen bezieht, mit dem Leistungsträger in Verbindung setzt, um zu erfahren, warum die Zahlungen ausbleiben.
Diese gesamte Logik leidet aber unheilbar unter dem Mangel, dass dadurch ein Sonderrecht für die finanziell Gepolsterten mit ALG I-Anspruch und dem Bedürfnis, längere Zeiträume zu überbrücken, schaffen würde, die einfach den Zugang eines Bescheids bestreiten, AU-Bescheinigungen weiter einreichen, und sich erst dann mit der Krankenkasse in Verbindung setzen, wenn die Mittel ausgehen. Dieser Personenkreis würde also profitieren, während alle anderen das Ende nach 78 Wochen hinnehmen müssten.
Man müsste also davon ausgehen, dass ein Gericht, das in diesem Gedankenspiel dieser Logik folgt, in Angesicht der Höchstgrenze eine maximal übergangsweise, kurze Überschreitung akzeptieren, und die Frage stellen würde, wann der Kläger vermuten musste, dass etwas nicht stimmt, und dann wäre man schnell in einem Wechselspiel, in dem der Kläger die Frage beantworten müsste, warum er nicht früher aktiv geworden ist, und das kann dann ganz schnell damit enden, dass der Kläger im Wissen um die 78 Wochen-Grenze die Aufhebung der Bewilligung bewusst vereitelt hat.
Dementsprechend: Nein, so leicht und klar wäre ein solches Verfahren selbst dann nicht, wenn die hier propagierte Rechtsauffassung mehr als ein Klotz aus Mythen und Behauptungen wäre.